Umweltschutz und Achtung für alles Lebende.
Dieser Artikel wurde am 25. April 2016 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Rojava ist die kurdische Enklave zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak und somit seit dem Zusammenbruch des Iraks ein Ort des „Machtvakuums“, zwischen Diktaturen (Syrien, Türkei) und dem IS, der Nordirak beherrscht. In diesem „autonomen Kurdengebiet“, das aus den Provinzen Afrin, Kobane und Cizire besteht, hat sich unbemerkt von der Weltöffentlichkeit die Utopie des amerikanischen Philosophen Murray Bookchin verwirklicht und eine autarke „soziale Ökologie“ entwickelt. Bekämpft wird sie deshalb nicht nur von der Türkei und Syrien, sondern auch vom „Westen“ unter Führung der USA und natürlich vom IS.

 

Umweltschutz, Gleichberechtigung, direkte Demokratie und Religionsfreiheit im freien Kurdistan

 

Die Auswüchse des absolutistischen Kapitalismus, von Rassismus, Sexismus und sozialer Ungleichheit, sind – laut Bookchin – die Ursache für die globalen Probleme, weil sie die Menschen blind machen und eigentlich ganz einfach beseitigt werden könnten. Dass das stimmt, beweisen seit Jahrzehnten indigene, autarke Regionen in Südamerika und Afrika und nun, seit einigen Jahren das autonome Kurdengebiet Rojava. Das Problem ist, dass dieses genau in diesem Brennpunkt globaler Wirtschafts-Machtpolitik liegt und den Kurden seit der Pariser Friedenskonferenz 1919 versprochen – aber vorenthalten wird. Seit 2014 die Verfassung des westlichen Zipfel Kurdistans, in Rojava in Kraft gesetzt wurde, leben die 4,6 Millionen Menschen hier eine faktische Anarchie, die natürlich von keinem Land der Welt oder der UNO anerkannt wird. Dass Frauenverteidigungseinheiten (über 40% der „Volksverteidigungseinheit“ Rojavas) die 30.000 Jesiden retteten, die vor dem IS in Nordsyrien geflohen waren, wurde von der Weltgemeinschaft hingenommen aber schnell totgeschwiegen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Dafür gibt es in dieser Region noch zu viel von dem, was die „Weltwirtschaft“ immer noch so sehr braucht – das Öl.

 

Kein –ismus sondern „Ökologie der Freiheit“

 

Nur hierarchiefreie Gemeinschaften aus absolut gleichberechtigten Männern und Frauen, Alten und Jungen, Weißen und Schwarzen sind in der Lage, eine nachhaltige Zukunft aufzubauen, schreibt Bookchin. Genau dieses wird in Rojava gelebt und versetzt jeden Besucher in ungläubiges Staunen. Mit großer Ernsthaftigkeit sitzen die Menschen in Seminaren zu Sozialwissenschaften und besprechen ihre „Angelegenheiten“, verwalten ihre Gemeinschaft vergeben „Posten“ ausschließlich dual, stets von einer Frau und einem Mann gleichberechtigt, und jederzeit „abrufbar“. Ihre von allen anerkannten Werte sind Umweltschutz, religiöse Toleranz, politischer und kultureller Pluralismus und Selbstverteidigung. Frauen spielen eine wichtige Rolle in allen Bereichen und die Fraueneinheiten der „Armee“ sind selbst von den IS-Kämpfern gefürchtet. Verschiedene „Warlords“, also traditionelle Stammesfürsten umliegender Regionen, unterstützen inzwischen diesen „Staat“, weil es ihnen imponiert, wie hier „alle Menschen geachtet werden“. Laut Bookchin sind weder Kapitalismus noch Sozial- oder Kommunismus geeignet, eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, einfach weil jedes hierarchische System in sich einen korrumpierenden Einfluss hat. Die Männer in Rojava haben die Frauen neben sich „achselzuckend“ und mit einem verschmitzten Lächeln akzeptiert. In Wahrheit führten diese vielfach zuvor ohnehin das Regiment – bisher nur nicht so offen.

 

Dezentrale Gemeinschaften entscheiden – ohne Hierarchien

 

Ein Sammelsurium aller in dieser Region vorhandenen Religionen und „Volksgemeinschaften“ hat diesen Staat, der kein Staat ist, ausgerufen und lebt in einer für unmöglich gehaltenen Harmonie miteinander. Offiziell – in westlichen Medien – gibt die PYG (Partiya Yekitiya Demokrat), die syrische Version der PKK „den Ton an“, in Wahrheit handeln und entscheiden die örtlichen Gemeinschaften autonom, frei von jeder Ideologie oder Religion, ausschließlich im Interesse ihrer Mitglieder, zu denen auch die Umwelt – die Mitwelt – gehört. Überörtliche Angelegenheiten werden wiederum von Gruppen Abgesandter aus den Gemeinschaften entschieden, die jeweils neu benannt werden. Eine dauerhafte, hierarchische Ordnung, Parteien als Interessengruppen oder ähnliches gibt es nicht.

Noch wird dieser „Staat“ von den Anrainern geduldet, weil er ein überaus erfolgreicher Puffer gegen den Islamischen Staat (IS) ist. Eine offizielle Anerkennung der „Weltgemeinschaft“ ist nicht in Sicht, solange keine „akzeptierte demokratische Struktur“, also die korrupte und für die globalen Konzerne berechenbare Hierarchie existiert. Die Menschen in Rojava sind gewillt, ihr Land mit allen Mitteln zu verteidigen, weil jeder das Gefühl hat, dazuzugehören. Rojava ist ein weiteres funktionierendes Modell für eine eigentlich friedliche harmonische und damit nachhaltige Zukunft für alle Menschen und ihren Lebensraum, die Mitwelt.

 

Quelle unter anderem: „UTOPIA im KRIEG“, Reportage von Wes Enzinna in philosophie MAGAZIN 03/2016, S.32-39

Weitere Berichte zu Rojava:

http://www.zeit.de/2014/12/kurden-syrien-norden

http://civaka-azad.org/vom-marxismus-zu-kommunalismus-und-konfoederalismus-bookchin-und-oecalan/

https://www.boell.de/de/2015/05/19/oekologie-und-freiheit

http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-03/syrien-russland-kurden-autonomie-kritik-michail-bogdanow

http://www.zeit.de/2014/41/kurden-kobani-syrien-is