Wie wirkt sich das Erdgeschoß auf das Stadtbild aus?
Dieser Artikel wurde am 2. Januar 2015 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Zwei Jahre lang forschte die Stadtplanerin Angelika Psenner, von der TU Wien,  nun bereits an der Gestaltung von städtischen Erdgeschoßzonen. Eines wünscht sie sich dabei: Einen halböffentlichen Raum, der Menschen zusammenführt. Wir haben mit ihr über ihre Forschungsarbeiten gesprochen.

Sie beschäftigten sich im Rahmen Ihrer Forschungsarbeit mit städtischen Erdgeschoßzonen. Warum sind diese so wichtig?

Im Rahmen der Studien zu meiner Doktorarbeit „Wahrnehmung im urbanen öffentlichen Raum“ (Turia und Kant, 2004) habe ich mich gefragt wie „StraßennutzerInnen“ den öffentlichen Raum, durch den sie sich bewegen wahrnehmen. Ich habe versucht herauszufinden was sie sehen, wie sie das, was sie sehen bewerten und in welcher Form sie das Wahrgenommene beeinflusst – ob sie z.B. schneller gehen, wenn ihnen ein Ort weniger gefällt.

Im Zuge dieser Recherchen bin ich dann quasi am Erdgeschoß „hängen geblieben“ – was, wenn man sich über Wahrnehmung im Straßenraum Gedanken macht, sehr naheliegend ist. Eine Stadt, ein Grätzl funktioniert dort, wo die Erdgeschoßzone intakt ist.

2004 habe ich dann am IFK einen Vortrag zur EG- und Kleingaragen-Problematik gehalten. Dieser Vortrag hat Medien und auch den damaligen Stadtrat für Stadtplanung Rudolf Schicker zu Reaktionen veranlasst hat. Schicker konnte interessanterweise keinen Handlungsbedarf erkennen und stellte die Relevanz meiner Studie in Frage… Aber natürlich hat sich dann auf Verwaltungsebene doch einiges getan… u.a. z.B. der Werkstattbericht „Perspektive Erdgeschoß“ (an dem ich auch mitgearbeitet habe) und natürlich das Projekt „Mehrfach- und Zwischennutzung“.

Stadtraum ist dichter Sozialraum. Er bietet Möglichkeiten zum zwischenmenschlichen Austausch, welcher in erster Linie dort stattfindet, wo sich unsere Wege kreuzen: im StadtParterre – den Straßen, Erdgeschoßen und Höfen. Das städtische Parterre stellt die räumliche Verknüpfung aller Stadtebenen dar.

Die Qualität dieser Zone liegt also darin, dass sie soziale Kontakte arrangiert, dass sie bewussten genauso wie zufälligen Interaktionen Raum bietet.

Wie konnten Sie herausfinden, wie Flächen in diesem Gebäudebereich genutzt werden, auf welche Quellen haben Sie da zurückgegriffen?

Mit etwas Glück und Geduld lassen sich im Wien Museum, ÖNB und Wiener Stadt- und Landesarchiv historische Aufnahmen der Örtlichkeiten auftreiben die man untersuchen möchte. Die Hauptinformationsquelle stellt jedoch die Baupolizei dar; denn die Wiener Magistratsabteilung 37 ist nicht nur für die Genehmigung von Neu-, Um- und Zubauten verantwortlich, sie archiviert auch alle entsprechenden Dokumente und Pläne. Also lassen sich dort alle notwendigen Informationen finden. Zudem umfassen die Archivierungsmappen der Baupolizei auch alte Gewerbegenehmigungen und die den öffentlichen Raum betreffen Platzzins-Abgabebestimmungen. Die Verarbeitung dieser großen Datenmenge ist sehr zeitintensiv auch weil manche der historischen Pläne und Dokumente fast unleserlich sind. Außerdem wurden die alten Pläne nach anderen Mess- und Genauigkeitskriterien erstellt, sodass es schwierig – aber allemal hochinteressant – ist ihre Aussagen in unser Maß-System zu übertragen.

Leider gelten diese Daten in Wien als privat – nicht so in der Schweiz oder in Italien. Der Zugang zu diesen Daten ist also reglementiert und nur „zu Studienzwecken“ möglich – weshalb der Abschlussbericht zu meiner Studie anonymisiert wurde.

Nahezu jede Schweizer Stadt und viele italienische Städte verfügen über einen „Zusammenhängenden Grundrissplan“ – im Gegensatz zum „Zusammenhängenden Parterre-Modell“ meiner Studie sind diese jedoch nur zweidimensional.

Wie hat sich das Erdgeschoß im Laufe der Geschichte verändert?

Meine Studie bestätigt die These, dass die Erdgeschoßzone aus historischer Sicht halböffentlichen Raum darstellt und dass die Fassade als Permeable fungierte. Erdgeschoßfassaden ermöglichten einen übergreifenden Austausch zwischen den öffentlichen und halböffentlichen Sphären. Sie waren also durchlässig: halböffentliche oder auch private Nutzungen des Parterres wuchsen hinaus auf die Straße und umgekehrt waren die Räumlichkeiten zugänglich für den „public flow“.

In den Jahrzehnten nach ihrer gründerzeitlichen Neubebauung (ende 19. Jh.) waren in den ebenerdigen Lokalen des untersuchten 190 m langen Straßenstücks vor allem Gewerbe vertreten:

7  Gastwirtschaften, Kaffeehäuser, Brandweiner

3  Bäckereien bzw. Zuckerbäckereien

1  Fleischselcher

5  Verkaufs- bzw. Gassenlokale, zuweilen auch Gewölbe genannt

4  Gemischtwarenverschleißer (Händler)

Die zahlreichen Kleinunternehmen (zumeist produzierendes Gewerbe – die Unternehmensgründungen gehen besonders auf die Gewerbe-Liberalisierung von 1859 zurück) bestimmten über viele Jahrzehnte die wirtschaftliche, soziale und städtebauliche Struktur der Stadt. Eine strukturelle Beson­derheit die heute unter dem Druck und den Folgen der Globalisierung gänzlich zu verschwinden droht.

Im Zuge dieser Entwicklung werden die Fenster – die also ursprünglich die Verbindung zwischen Öffentlich und Privat herstellten, die zur Interaktion einluden und damit das Erdgeschoßlokal, sofern dies mit der Nutzung kompatibel war, zum halböffentlichen Raum machte – diese Fenster werden nun verspiegelt, mit Plakaten verklebt oder ganz zugemauert. Sodass die mit der Straße korrelierenden Räume des Hauses endgültig von der städtischen Öffentlichkeit abgetrennt werden. Damit verliert der Straßenraum eine Sphäre welche über die rein geometrischen Raumabmessungen weit hinaus geht: Das ambivalente Nutzungsangebot, das Nebeneinander von gegensätzlichen Möglichkeiten, die Widersprüche und die daraus erwachsende Spannung die das positive Moment der urbanen Lebensqualität, des Stadtlebens im Allgemeinen ausmachen, wird damit beträchtlich reduziert.

Dieser Umstand ist in erster Linie als Sekundärfolge der Straßenraumsituation zu sehen: Das vom fließenden und ruhenden Verkehr stark in Mitleidenschaft gezogene Erdgeschoß wird nicht mehr in seiner ursprünglichen Funktion genutzt, die Fenster werden zugemauert und die Räumlichkeiten schlussendlich dem stehenden Verkehr überlassen. Autos „wohnen“ in Wien zuweilen bereits nicht nur „zu ebener Erd’“ sondern bereits auch im Mezzanin.

Ich stelle hier die „Privatheit“ von städtischen Erdgeschoßen grundsätzlich in Frage. Genauso wie das seit 1938 erfundene Recht, privates Gut (Autos) nahezu kostenfrei im öffentlichen Raum abstellen zu dürfen. Das StadtParterre ist für das Funktionieren einer Stadt zu wichtig, als dass man es den privatisierenden Nutzungen überlassen könnte – denn die hohen Folgekosten von schädigender Fehlnutzung werden letztendlich von der Gesellschaft getragen.

Welchen Platz wird dieses Stockwerk, denken Sie, in der Zukunft einnehmen?

Das Problem ist, dass wir keine genauen Informationen haben: Wir wissen weder wie unser städtisches Parterre genau ausschaut (welche Räume und welche Qualitäten wir vorfinden, wie die Verknüpfungen mit den Raumschichten darüber und darunter ausschauen), noch wie es denn nun derzeit wirklich genutzt wird. Es gibt keine genauen Angaben über die Anzahl der Kleingaragen im EG oder über jene der Leerstände (weil „Leerstand“ ja schwer feststellbar ist, deshalb spreche ich auch lieber vom „subjektiven Leerstand“ © K. Fohringer).

Also wäre es erstens wichtig die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern, damit wir auf die entsprechenden Daten zugreifen können und zweitens erachte ich es für sinnvoll ein „Zusammenhängendes Erdgeschoßmodell“ zu erstellen. Erst wenn wir dieses Informationsmaterial haben, können wir wirklich analytisch an die Sache herangehen und in Folge planerisch reagieren.

Im Modell können Zusammenhänge abgelesen werden: es wird nachvollziehbar, warum eine bestimmte Straße als Gesamtraum nicht funktioniert, worin ihre spezielle Un-Attraktivität liegt, warum Läden sich nicht halten können oder warum – trotz aktueller Raumnot – diese bestimmte Erdgeschoßzone keine NutzerInnen anzieht. Für desolate, von Leerständen, Lager- und Garagennutzungen geprägte Straßenzüge können dann Nutzungsvorschläge erarbeitet werden. Es könnten Auflagen festgelegt werden für bestimmte Nutzungen, welche den Gesamtraum beeinträchtigen.

Oder wir lassen’s, wie’s ist. Ziehen alle um einen Stock nach oben und sorgen damit dafür, dass durch die dadurch erforderlichen Dachaufbauten unsere engen Straßenschluchten (Wiens Gründerzeitstraßen sind im Europäischen vergleich besonders schmal) noch schlechter belichtet werden und benützen das StadtParterre ausschließlich zum Abstellen von Privat-Pkws. Soziale Kontakte müssen sich dann eben auf soziale Netzwerke beschränken. So kann man sich das ganze auch vorstellen… klappt sicher auch… man kann ja dann eigene Bauten dafür schaffen, damit wir das „Sich-Begegnen in der städtischen Straße“ quasi analog nachstellen können… ach, die gibt’s ja schon! Wien ist gesegnet mit Shoppingmalls… so gesehen brauchen wir das unterste Stockwerk vielleicht gar nicht mehr.

Foto: Angelika Psenner

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