In der Zeit der Industrialisierung überwucherten Städte die Landschaft, die Urbanisierung war wie ein Krebsgeschwür, unkontrollierbar. Mit dem Ende des Industriezeitalters ändert sich auch die Funktion der Stadt.
Hure und Heilige, die ambivalente Liebe zur Stadt
Paris, Rom, Berlin, manche Städte umgibt ein Nimbus, der, in der Regel hunderte Jahre alt, mit der Realität kaum noch etwas zu tun hat. Der Charme dieser Städte liegt dann auch in ihrem Herzen, dem Zentrum und mit Sicherheit nicht in den Vorstädten oder dem Speckgürtel, den Trabantenstädten, in denen aber längst die meisten Einwohner der Stadt leben. Viele der großen alten Städte beherbergen übers Jahr längst mehr Fremde, Geschäftsreisende und besonders Touristen, als sie Einwohner haben. In den letzten dreißig Jahren haben in manchen Städten über die Hälfte der Einwohner die Stadtgrenzen überschritten und leben nun auf dem Lande, vor den Toren der Stadt. Die Folge ist der nervtötende Pendlerverkehr aus den gesichtslosen Schlafstätten, die längst keine Dörfer mehr sind in das Zentrum oder die verbliebenden Betriebe in den Stadtgrenzen. Dabei entziehen sie der Stadt die Einnahmen aus ihren Steuern, fordern aber zugleich einen funktionierenden Nahverkehr, eine intakte Infrastruktur. Die alten stolzen Städte stehen nicht selten vor dem Ruin und hängen am Tropf von Ausgleichszahlungen aus der Region. Die verbliebene Bevölkerung überaltert, der demoskopische Mittelbau, die Familie mit Kind lebt bevorzugt auf dem Lande. In dem Zentrum von Hamburg tummeln sich nach Ladenschluss nur noch Touristen, die vielen Studenten und an bestimmten Plätzen halt die Senioren.
Vom alles verschlingenden Moloch zum armen Patienten
Allen Städten kann als Rezept zur Genesung der Weg in eine nachhaltige Existenz gelingen. Haben sie sich, wie in anderen Artikeln zur – ehemaligen – Unwirtlichkeit in ihnen beschrieben, von den Versorgungsadern der Energiebelieferung, der Ver- und Entsorgung, dem Kollaps des Verkehrs entledigt, sich sorgsam herausgeputzt und auf ihre zentralen Aufgaben besonnen, können sie wirklich gesunden und zu alter Größe zurückkehren. Vor der Zeit der rauchenden Schlote waren sie die Zentren des Handels, der Wissenschaft und Kultur, der Kopf und das Herz der Region. Die „blaue Banane“, eine durchgehende Zone besonders dichter urbaner Besiedlung, von Irland über Südengland mit London, das Rhein-, Main-, Ruhrgebiet und Bayern bis Mailand ist das Beispiel eines neuen Charakters von Stadt, Umland und ländlicher Region. Hier wird der größte Teil des Bruttosozialproduktes der jeweiligen Staaten erwirtschaftet, ohne die Schwerindustrie der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, sondern dafür von unzähligen mittelständischen Betrieben, den Banken und Handelszentren, Universitäten und innovativen Zentren. Städte wie München haben sich längst zu einem Weg in die Nachhaltigkeit bekannt, verfolgen als mittelfristiges Ziel die Autarkie.
Stadtflucht statt Landflucht, die Entvölkerung der Slums
Kaum vorstellbar sind heute die Lebensumstände des Proletariats am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, die Arbeitsbedingungen in der Schwerindustrie im Ruhrgebiet. Heute sind dies oft begehrte Wohngebiete für junge Singles, Studenten, ja sogar junge Familien. Die alten Industriestandorte sind umgestaltet zu Erlebnisparks, Museen und Spielstätten der Kultur. Manch eine Stadt, die bisher absolut von einem Industriezweig abhängig war, gar von einem einzigen Konzern, lebt nun von einer Vielzahl kleiner und mittlerer Betriebe, ist damit auch flexibel, anpassungsfähig an Veränderungen globaler Märkte. Die alte Form der Großindustrie ist zuerst in Europa, sodann langsam global verstorben, da sie zu schwerfällig ist und anfällig wie ein überalterter Saurier. Selbst die Autoindustrie, in Deutschland noch Spitzenreiter im Export ist zergliedert und aufgeteilt in hunderte kleine Zulieferwerkstätten, montiert in ihren Stammwerken nur noch die Bausätze mit einem Bruchteil der ehemals Beschäftigten.
Einige Millionen Menschen, landlose Arbeiter zogen einst in die Stadt, um ungelernt in der frühen Phase der industriellen Entwicklung von nicht auskömmlichem Lohn in menschenunwürdigen Behausungen zu vegetieren. Heute, nach dem Tod dieser Industrie, ist in etwa diese Zahl an Stadtbewohnern ohne Arbeit. Dies ist ein weiteres Problem jeder größeren Stadt, weil aus dem immer kleiner werdenden Steuertopf diese Menschen zu finanzieren sind. Sie können – noch – nicht aufs Land, solange dort keine Arbeit für sie zu finden ist.
Land- und Energiewirtschaft und Handwerk, zukünftige Jobwunder auf dem Land
Schon heute arbeiten über 300.000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien und das nicht unbedingt in den alten Zentren der Industrie. Der weitere Wandel zum Einsatz regenerativer Energien, der anzustrebende Wandel im gesamten Verkehrssystem und ganz besonders der Wandel hin zu einer neuen alten ökologischen Landwirtschaft wird Arbeit schaffen für einige Millionen bisher Unbeschäftigte. Alle Argumente also, dass eine nachhaltige Entwicklung die Gefahr in sich berge, der Industrie in einem Exportland Schaden zuzufügen, muss man entgegenhalten, dass der Schaden möglichweise durch diese Industrie entstand und nun beseitigt werden kann. Gerade in Deutschland hat die Industrie, die großen Produktionsstätten aufgehört das Land zu ernähren. Wenn sie das je getan hat, haben inzwischen längst die mittleren Betriebe diese Aufgabe übernommen und tragen über neunzig Prozent zur Wertschöpfung, insbesondere zu den Einnahmen des Staates bei.
Viele bürgerlich konservative Politiker und (Vor-)denker sehen sich noch im Vestibül der Villa Hügel, wartend auf einen Empfang des Konzernherren Krupp im Beisein des Kaisers. Hier ist längst ein Museum eingezogen, der Enkel des Kaisers im Exil der grünen Blätterwelt, dem Journal für die Frau. Die Stadt, die Region, das Land gehören wieder den Menschen. Dies haben bisher nur wenige bemerkt, weshalb es gilt sie zu erinnern: „Frage nicht, was der Staat (der Fürst, der gute König) für dich tun kann, sondern frage, was du für den Staat (das Land) tun kannst“.