Nachhaltige Architektur ignoriert die Gesetze der industriellen Kultur und richtet sich allein nach den lokalen Ressourcen und den Ansprüchen der Mitwelt.
Dieser Artikel wurde am 19. Februar 2015 veröffentlicht
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„Die Zukunft spüren – der Architekt als Seismograph“ war das Motto der Architektur-Biennale Venedig 1996. Bereits in den 70er Jahren hatten Architektursymposien angehende „Gestalter der Umwelt“ ermahnt, sich mehr dem „Erspüren der Notwendigkeiten“ zu widmen, als der Erfüllung von Renditeerwartungen von Bauträgern. In der „gebauten Realität“ der letzten 40 Jahre ist davon nicht viel zu sehen gewesen, doch langsam entwickelt sich das „Unbehagen“, sowohl der Menschen – der Bewohner – und der Planer. Architekten bauen nun einmal für Generationen und nicht für eine kurzlebige Mode. Nachhaltigkeit sollte eigentlich gerade hier ein Grundsatz sein, der über allen anderen kurzfristigen Ansprüchen steht.

Die Mehrheit der Menschen lebt noch in nachhaltigen Gebäuden

Seit man in Europa die zerstörten Städte begann wieder „aufzubauen“ – was schon ein falscher Begriff ist, denn die meisten wurden erst dadurch richtig zerstört – entwickelte sich ein großes Unbehagen, das Soziologen – wie Alexander Mitscherlich – sofort identifizierten. Es hatte mit der Industrialisierung eine Abkehr von allen alten „Traditionen“ begonnen, die durch die extreme Umsetzung der industriellen Idee durch den Nationalsozialismus noch übersteigert wurde, so dass der Mensch mit seinen Bedürfnissen völlig in den Hintergrund gedrängt wurde. Bis zur endgültigen Schließung des Bauhauses in Dessau durch die Faschisten hatten Architekten noch ernsthaft nach Wegen gesucht, wie die Ansprüche der exponentiell zunehmenden Industrialisierung mit Mensch und Umwelt und deren Ansprüchen in Einklang gebracht werden können. Das waren nicht nur formale Überlegungen, nicht nur Versuche mit verschiedenen Materialien umzugehen, sondern auch ganz explizit soziologische Konzepte, weil die totale „Entmenschung“ nicht als Maxime einer lebenswerten Zukunft akzeptiert werden konnte. In den letztlich nach 1945 gebauten Städten ist eine „artgerechte Menschenhaltung“ kaum mehr möglich und der soziale Gedanke ist völlig zerschlagen. So kann allerdings eine nachhaltige Zukunft nicht einmal gedacht werden.
Dass fast 4 Milliarden Menschen andererseits nach wie vor in einer größeren Symbiose mit ihrer Mitwelt leben, betrachten die arroganten – und besonders die Amerikaner – als rückständig und bemitleidenswert. Auch das ist ein Vorgang, der eine große Gefahr für die Zukunft in sich birgt, weil diese fehlgeleiteten Zombies drauf und dran sind, den Rest der Welt nun auch nach ihren völlig irrsinnigen Vorstellungen umzukrempeln und ihre Irrlehre auf den Rest der Welt zu übertragen. Das Ergebnis sind die gerade in den aufstrebenden Schwellenländern menschenleeren Betonwüsten.

Über die Hälfte des Rohstoffverbrauchs geht auf das Konto der Bautätigkeit

Architekten, wie Christopher Alexander (Professor in Berkley) oder aktuell Eike Roswag (Berlin) haben immer schon den Gedanken eines „natürlichen Bauens“ konsequent verfolgt, sind aber leider immer noch Exoten im Heer der willigen Vollstrecker des letztlich faschistischen Ideals einer – auch – unmenschlichen Zukunft, in der allein das Kapital regiert. Menschen und Mitwelt sind lediglich Kalkulationsfaktoren einer völlig losgelösten Berechnung für stetig wachsende Renditen. Dass diese beseelt und – nach Auffassung der Kalkulatoren – „weiche Faktoren“ sind, ist ein Problem, das sich langsam – für die Kapitalisten – störend bemerkbar macht. Das Unwohlsein der Menschen einerseits und die Nichtbeherrschbarkeit der Mitwelt andererseits sind die Ursachen der global zunehmenden Gewalt, der Aufstände der Menschen und der „Natur“. Das Denken von der Beherrschbarkeit der Mitwelt und der Menschen hat sich als „Bullshit“ erwiesen. Auch die überheblichen Planer der „zivilisierten“ Welt, die sich so weit von jeder Regel der Evolution entfernt haben, müssen wieder lernen, wie sie sich an die Mitwelt, an die „Lebensbedingungen“ anpassen müssen, um dauerhaft, also nachhaltig zu überleben.
Gebäude, egal zu welchem Zweck, ließen und lassen sich vollständig aus „nachwachsenden“ Rohstoffen errichten. Man kann inzwischen hergestellte Bauteile aus Eisen (Stahl) oder Glas, natürlich auch Beton, ohne weiteres erneut verwenden (recyceln). Baustoffe wie Holz oder Lehm haben Eigenschaften, die sich durch künstlich hergestellte Baustoffe nicht ersetzen lassen und sind sowohl nachwachsend, als auch wieder verwendbar. Die Gebäude, wegen denen Eike Roswag nun den Kairo-Preis erhielt, beweisen, dass gerade in den sogenannten Schwellenländern eine nachhaltige Gestaltung der Lebensräume, also der Zukunft möglich war und ist. Er wirkt damit aktiv daran mit, dass es diesen Ländern – hoffentlich – ermöglicht wird, die so kritische Schwelle in eine eben nicht nachhaltige, zerstörerische Zukunft nicht überschreiten zu müssen, sondern ihre Zukunft am Ort, mit lokal vorhandenen Ressourcen und menschlichen und die Mitwelt respektierenden Maßstäben zu gestalten. Im Übrigen ist dies eine aktive Maßnahme gegen die Flüchtlingsprobleme, die Menschen erhalten wieder eine lebenswerte Zukunft in ihrer Heimat.

Regeln der Industriekultur ignorieren heißt Zukunft gestalten

„Die – industrielle – Revolution frisst ihre Kinder“ ist die leidvolle Erfahrung aus der Entwicklung der letzten 150 Jahre. Das goldene Kalb – Geld – hat sich als zerstörerischer Götze erwiesen, der nicht nur alle Ressourcen dieses Planeten verschlingt, sondern ebenso zerstörerisch die – schöpferische – Energie der Menschen. Menschen, die nur noch auf der Jagd nach einer neuen „Geschäftsidee“ sind, haben alle Sensoren, jedes Gefühl ausgeschaltet, mit denen sie noch ihre Mitmenschen und die Mitwelt wahrgenommen haben. Die Entwicklung dieses Systems hat die Menschen weder glücklich noch gesund gemacht, sondern neurotisch (seelisch krank) und organisch krank. Sie hat Lebensräume – oft auf Jahrtausende – zerstört und natürliche Zyklen, wie das Klima, auf Jahrzehnte verändert, ja für Millionen von Lebewesen in die Evolution eingegriffen.
Frei, sozial und damit nachhaltig denkende und arbeitende Architekten, also Umweltgestalter der Zukunft, wie Professor Alexander und Eike Roswag können nicht mit Unterstützung der Industrie, des Kapitals und damit der – aktuell – Regierenden rechnen. Sie sorgen nicht für Rendite, ignorieren die Angebote der Baustoffindustrie. Ihre Gebäude sind organische Bestandteile der jeweiligen Orte und damit für die Menschen spürbar sinnvolle und harmonische Behausung, also eine Heimat. Errichtet werden diese Bauten nicht von europäischen oder amerikanischen – nicht einmal chinesischen – Baukonzernen, sondern von den am Ort lebenden Menschen mit deren Händen und dem Material, das sie am Ort vorfinden. Die Techniken sind eine Mischung aus den lokalen – oft schon in Vergessenheit geratenen – Traditionen und empirischer Wissenschaft, also bewusst gemachter Erfahrung westlicher Ingenieure. Letztlich helfen diese also den Menschen in den ehemaligen Kolonien die Zerstörung der letzten 500 Jahre wieder zu heilen.
Genau dies muss aber für alle Menschen in Europa, den USA und allen anderen Industrienationen ein Muster sein. Genau hier liegt die Ursache der globalen Zerstörung und hier ist der Bedarf der „Heilung“ akut am größten.
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/180586/index.html

http://www.dw.de/kairos-preis-f%C3%BCr-architekt-eike-roswag/a-18251999

http://www.detail.de/architektur/termine/sustaining-identity-iii-symposium-019781.html

http://webuser.uni-weimar.de/~donath/c-alexander98/ca98-html.htm

http://www.muenchenarchitektur.com/news/25-kunst-kultur-design/5429-review-der-architekt-als-seismograph

http://www.labiennale.org/en/architecture/archive/exhibition/saturdays/hollein.html