Vom 2. bis zum 6. September bereits zum 4. Mal.
Dieser Artikel wurde am 8. September 2014 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Vom 2. bis zum 6. September haben in der Universität Leipzig rund 3.000 Teilnehmer und 700 Organisatoren und Referenten in 554 Einzelveranstaltungen nach Wegen gesucht, das derzeitige System der Wachstumszwänge zu überwinden. Sie berichteten sowohl von bereits seit Jahrzehnten praktizierten gemeinschaftlichen Projekten und diskutierten über Konzepte, diese Erfahrungen auf andere Länder und Regionen zu übertragen oder halt spezifisch regionale Konzepte zu entwickeln. Auch wenn das Thema, zu Deutsch etwa „Wachstumskritik“, auf den ersten Blick ein ökonomisches ist, wurden in zahlreichen Kunst- und Musikprojekten bereits – scheinbar – andere Bereiche einbezogen.

Ökonomie für Eudaimonia, das gelungene Leben

Betritt man den Innenhof der Leipziger Universität – bei angenehmem Sommerwetter – fühlt sich der alternde Beobachter an die späten 60er Jahre erinnert, an Woodstock, an alternative Dorfprojekte im Wendland seit den 70ern. Ein rhythmisches Stakkato von Messern einer ganzen Schar meist junger Menschen die unter freiem Himmel und fernab jeder Hygienevorschriften Berge von Salat und Gemüse hacken, begleitet von cooler Musik schaffen eine absolut entspannte Atmosphäre und geben ein lebendiges Beispiel einer funktionierenden Gemeinschaft. Jeder ist eingeladen teilzunehmen, sich in irgendeiner Form in die Organisation und all die kleinen Handreichungen einzubringen, Meldelisten für den abschließenden Abbau und Reinigungsdienst sind komplett gefüllt.
Hier sind nicht Wirtschafts- oder Politprofis versammelt, die diskutieren wollen, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um das bestehende System irgendwie in eine „sozial verträglichere“ Form zu drehen, sondern Menschen, die zumindest fühlen, oder sich halt daran erinnern, das die erste ökonomische Theorie des Aristoteles vor gut 2.300 Jahren diese noch als Haushaltslehre verstand, deren Ziel das gelungene Leben und nicht die Schaffung von Reichtum war. „Oikonomia“ soll dafür sorgen, dass der jeweilige Bedarf einer Gemeinschaft gedeckt wird. Mehr nicht.

Der Mensch ist Teil der Natur und die Umwelt ist seine Mitwelt

Die grundsätzliche Erkenntnis, dass zumindest die ureuropäischen Gesellschaften sich, zumindest gedanklich, von der Mitwelt, die sie auch die Natur nennen, obwohl diese „Gesamtheit der Schöpfung“ heißt, auf besonders krasse Weise getrennt hat, klingt immer wieder durch alle Verlautbarungen der 554 Arbeitskreise und Podiumsdiskussionen. Trotzdem bleibt diese Spaltung, hier in verschiedene „wissenschaftliche Disziplinen“ letztlich erhalten. Eine Fülle verschiedener Rezepte wird erarbeitet, von denen eine Vielzahl letztlich am Thema vorbeiführt oder die altbekannten Dogmen wieder aufleben lässt. Es fällt oft schwer, das Grundgesetz der Nachhaltigkeit, nämlich die Balance von Ökonomie, Ökologie und sozialer Ausgeglichenheit zu erkennen. Zu sehr sind die sehr bemühten Teilnehmer in dem bestehenden System gefangen. Die Frage: „Rechnet sich das denn“ gehört absolut nicht hierher. Das „Bruttoinlandsprodukt“, in das inzwischen neben den Geschäften mit Prostitution, Drogen und Waffen alle „Erwerbstätigkeit“ eingerechnet wird, ist einer der ersten Begriffe, die abgeschafft gelten.
Eine wirklich tragfähige Zukunft kann nur – aus europäischer Sicht – grundsätzlich anders, ohne jede Spartengrenze, transdisziplinär und Vorurteilsfrei gedacht werden. Alles, was in den letzten Jahrhunderten an „Wirtschaftstheorien“ erdacht und praktiziert wurde, ist – frei nach dem amerikanischen Philosophen Harry Frankfurt – „Bullshit“ und in keiner Weise zielführend.

Am Ende war dann doch der „Groove“ zu spüren

Der amerikanische Philosoph und Theologe Cornell West nennt es den „Funk“, Samuel Becket „The Mess“ und Martin Heidegger „das Sein“. Sie alle meinen das Grundgefühl der Balance, das auch bei Menschen in dem kollektiven Gedächtnis seit Jahrmillionen gespeichert ist. Die grundlegende Harmonie zwischen allen Elementen – an einem Ort oder dem Universum – die allein das Ziel der Evolution ist. Diese Balance ist auf unserem Planeten absolut aus dem Gleichgewicht geraten, was das gesamte System „Gaia“ in einen großen Stresszustand gebracht hat. Eine stabile und friedliche, grundsätzlich eben ausgeglichene Zukunft schwingt letztlich in einem –spürbaren – Groove.
Noch war auch dieses Treffen oft durch die alten „Probleme“ gestört, die jedoch systemimmanent sind, teil des Systems, das ohnehin von allen Beteiligten überwunden werden muss. So ist es natürlich absolut egal, ob eine Frauenquote eingehalten wird – obwohl Frauen „systemtypisch“ den Groove oft eher spüren – ob vegetarisch oder vegan gegessen wird oder eben Wurst auf dem Grill der „Volksküche“ bruzzelt. Dort wo es passt, wird natürlich Fleisch verzehrt. Das Problem ist nämlich, dass in jedem Jahr global Nahrungsmittel für 14 Milliarden Menschen erzeugt werden und davon mehr als die Hälfte vernichtet wird. Wir müssen also nicht mehr Nahrung erzeugen, sondern weniger, allerdings eben mit ökologisch und sozial guter Qualität. Alle anderen Dogmen sind natürlich „Bullshit“ und Frauen oft ohnehin die besseren Männer.

Gemeinschaft ist möglich und nur sie kann das herrschende Mafiasystem überwinden

Einig waren sich alle Anwesenden, dass seit der Studie des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ zu viel Zeit verstrichen ist, ohne dass auch nur ernsthafte Ansätze bei „Entscheidungsträgern“ zu erkennen sind. Die überfällige neue industrielle Revolution muss „von unten“ kommen, gewaltlos, einfach dadurch, dass Menschen sich zusammentun und an ihrem Ort, in ihrer Region, in ihrem Kiez genau das tun, was dort die Balance ermöglicht. Rezepte dafür können gerade Europäer, ganz besonders keine europäischen Wissenschaftler erarbeiten, ja nicht einmal denken. Ihnen fehlt der lokale Groove. Ob Inuit sich vegan ernähren wollen, werden sie selbst entscheiden. Europa und Amerika müssen sich in allen Dingen auf ihre Region beschränken, allein die dortigen Ressourcen nutzen und den Rest der Welt „in Ruhe lassen“.
Erst wenn alle Regionen im Groove sind, ist ein friedlicher und fairer Austausch möglich und das nur insoweit, dass der Groove nicht gestört wird. Alle „Probleme“ und Krisen werden sich sehr schnell von selbst auflösen, denn wenn die Mafia ihre Renditen verliert, wenn Gewinne – auf Kosten der Menschen und der Mitwelt – nicht mehr möglich sind, vielleicht ihr Geld ohnehin überhaupt keinen Wert mehr hat, weil es von den Menschen nicht mehr akzeptiert wird, wird das System des absolutistischen Kapitals kollabieren. Die „Kollateralschäden“ werden die Menschen verschmerzen können und gern beiseite räumen. Darin sind sie – global – seit Jahrhunderten geübt.