Das System der skrupellosen Ausbeutung, sowohl der natürlichen Ressourcen, als auch der Menschen wirkt sich seit Beginn der Industrialisierung auch spürbar auf die Gesundheit aus. Die Entfremdung von einem Leben in einer Harmonie mit der Natur hat das Gleichgewicht, den natürlichen Kreislauf zerstört.
Die Entfremdung beginnt mit der Veränderung der Arbeitswelt
Mit der Erfindung der Dampfmaschine begann eine Entwicklung, in deren Verlauf der Mensch bei der Herstellung von Waren immer weiter in den Hintergrund gedrängt wurde. Seine Arbeitskraft wurde durch eine Kraftmaschine ersetzt. Das hätte nicht zwangsläufig zu der sodann einsetzenden Entwicklung der Großindustrien führen müssen. Entscheidend war, dass in den Ländern, die auf die Rohstoffe und Absatzmärkte in Form von Kolonien Zugriff hatten aus kleinen Manufakturen große Fabriken entstanden. England, als erster Industriestaat, verfügte im achtzehnten Jahrhundert über beides und war damit der erste Global Player im heutigen Sinne. Normalerweise, auf die natürlichen Grenzen beschränkt, wäre das Vereinigte Königreich ein bescheidenes Land geblieben, dass Energie, Lebensmittel und Waren aus heimischen Ressourcen erzeugt und verbraucht hätte – wie jedes andere Land dieser Erde. So aber fand eine beispiellose Veränderung statt: es wurden ganze Landstriche entvölkert, Dorfgemeinschaften und Familien zerrissen. Die Arbeitsplätze befanden sich nun nicht mehr im Dorf oder dessen Umfeld, sondern in den auswuchernden Industriezentren und Städten, sowie in all den besetzten Gebieten auf der Welt, den Kolonien. Die Produktionsstätten aber waren, infolge der starken lokalen Konzentration und der schieren Größe nur noch auf eine immer größere Produktivität ausgerichtet, die schließlich nicht mehr Qualität als Maßstab hatte, sondern nur noch die schiere Menge der Produkte. Der klassische Arbeiter hingegen hatte mit dem hergestellten Produkt kaum noch etwas zu tun. Er war nur noch ein Kostenfaktor, seine Leistung auf ein Minimum an Handgriffen reduziert. Hier setzt die klassische Entfremdung im Marxschen Sinn ein, die Trennung des Handwerkers von dem hergestellten Produkt.
Die Industriegesellschaft verändert die Lebenswelt
In dem Augenblick, in dem die bisherige Produktionswelt zerstört wird und an wenigen Orten nun plötzlich Millionen von Menschen leben, die nicht mehr ihre Nahrung selbst anbauen, die Waren des täglichen Lebens selbst herstellen, ist das über Jahrtausende gewachsene Gleichgewicht zerstört. Die Arbeiter in den Industriezentren leben nur noch, um einige Handgriffe für die Herstellung irgendeines Produktes zu machen. Die riesigen Fabrikkomplexe benötigen eine nicht endende Zufuhr gigantischer Mengen an Rohstoffen und Energie und stoßen, neben der gewaltigen Menge an Gütern auch die Reststoffe der Produktion konzentriert an einem Ort aus. Auch durch die Konzentration so vieler Menschen an einem Ort müssen alle Dinge des täglichen Lebens, von Trinkwasser bis zu den Lebensmitteln in riesigen mengen herbeigeschafft werden. Auch hier erfolgt natürlich eine enorme Konzentration an Abfallstoffen, von den menschlichen Abwässern bis zu dem anfallenden Müll. All dieses hatte bisher, relativ gleichmäßig über das ganze Land verteilt, nicht zu größeren Problemen geführt. Nun aber traten Probleme auf, wie der gefürchtete Londoner Smog und immense Verschmutzungen des Trinkwassers und der Böden. Gleichzeitig begannen die Menschen auch seelisch unter dem nun immer deutlicher spürbaren Ungleichgewicht, der Entfremdung von dem gewohnten Leben, der Monotonie zu leiden.
Der Verlust der Großfamilie schafft ein Gefühl der Ohnmacht
Waren zu Beginn der Industrialisierung noch ganze Großfamilien vom Land in die Stadt gezogen, wird auch diese aufgebrochen, weil nicht alle Mitglieder hier Arbeit finden und der karge Lohn des Industriearbeiters den Klan nicht ernähren kann. Durch die immer stärker werdende Spezialisierung und zuletzt die Globalisierung wird auch die zuletzt nur noch aus zwei Personen bestehende Familie aufgelöst. Sobald beide Ehepartner arbeiten wollen, werden sie in der Regel getrennt. Zurück bleibt, besonders in Städten ein Anteil von über dreißig Prozent Alleinlebender oder Alleinerziehender. Nun ist der Mensch vollständig den Regeln, Anforderungen der Produktion ausgeliefert und somit gegenüber der Umwelt scheinbar absolut ohnmächtig. Da die Industriewelt, die sich Zivilisation nennt, nun die ganze Welt umspannt, hat sie diese Welt mit einem gigantischen Netz an Verkehrswegen überzogen, auf denen Menschen zu ihren Arbeitsstätten und Waren, einzelne Bauteile, Dinge des täglichen Bedarfs permanent hin und her transportiert werden. Die Dörfer sind inzwischen zu landwirtschaftlichen Industriestandorten geworden. Der Bauer, der sich nun Agrarökonom nennt, ist zu einem Produzenten nur noch eines Produktes geworden. Auch er fühlt sich nun plötzlich den Gesetzen eines weltweit agierenden Marktes unterworfen. Auch das bisher noch natürliche Produkt des Ackers ist nun zu einem industriellen Produkt verkommen, dessen Qualität nun auch nicht mehr ausschlaggebend ist, sondern nur noch die schiere Menge und der erzielbare Umsatz. Auf einer Fläche, die bis Mitte des letzten Jahrhunderts noch über zwanzig Menschen ernährte, arbeitet nun nur noch ein Landwirt allein.
Aus Menschen wird Humankapital
Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ist nun die Lösung der Menschen aus einem natürlichen Gleichgewicht fast global vollzogen. Auch die bisher noch als Rohstofflieferanten ausgebeuteten, so genannten Entwicklungsländer werden nun zu Industrienationen und damit auch Absatzmärkten. Fast gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass diese Erntwicklung in die Katastrophe führt. Die Mehrheit der Menschen scheint vollständig entmündigt und den Krisen, die aus dieser Entwicklung täglich spürbar sind hilflos ausgeliefert. Sowohl Naturkatastrophen, als auch der immer wieder auftretende Zusammenbruch von Finanzmärkten fordern Opfer, was vor einigen hundert Jahren noch eine lokale und fast normale Erscheinung gewesen war. Die so genannte Zivilisation hat offenbar den Menschen nicht ein Paradies gebracht, sondern sie aus dem Paradies – ihrem über tausende Generationen gewachsenen Gleichgewicht geworfen. Nicht der menschliche Organismus und schon gar nicht die menschliche Seele konnten mit dem Tempo der entfremdenden Entwicklung Schritt halten. Die letzte Folge dieser Ausbeutung auch des Menschen – der einmal ein Teil der Natur war – sind seelische Krankheiten in einem nicht mehr zu therapierenden Ausmaß, sowie ein Anstieg körperlicher Beschwerden, die einen seelischen Auslöser haben, psychosomatische Leiden. Der Mensch als unpersönlicher Faktor einer Bilanz hat sein Gleichgewicht, der Seele und der organischen Gesundheit verloren.
Ein gesunder Geist wohnte in einem gesunden Körper
Die Zerstörung der Umwelt hat zuletzt den Menschen erreicht. War es bisher noch die Vergiftung der Luft, der Böden und des Wassers, zuletzt der Nahrung, die auch die Menschen krank machten, ist es nun auch in großem Masse die Seele, die Depersonalisation, die wahrgenommene Ohnmacht. Erst kürzlich haben zahllose Studien belegt, dass nicht mehr die Menschen in den Industrieländern besonders gesund leben und besonders alt werden, sondern gerade die Menschen in Ländern, in denen diese Zivilisation noch nicht allumfassend fortgeschritten ist. Die angeblich so heilsbringende Medizin – mit der sie beherrschenden Pharmaindustrie – ist also nicht der Garant für Gesundheit, sondern einfach eine ausreichende Hygiene, insbesondere der Seele. Beides kann aber offenbar in den hoch technisierten Ländern nicht mehr geboten werden. Es ist sogar erwiesen, dass die Menschen in Regionen, in denen zeitweise die medizinische Versorgung geringer war, die allgemeine Gesundheit spürbar besser wurde.
Eine nachhaltige Entwicklung, beginnend mit der Deindustrialisierung der Energieversorgung, einer Rückführung in regionale Maßstäbe wird sich letztlich auch in allen anderen Bereichen auswirken. Eine Wiederherstellung eines natürlichen Gleichgewichts wird zwangsläufig auch den Menschen erreichen, da er ein Teil der Natur ist und nicht, wie irrtümlich angenommen, dieser gegenübersteht.
Mehr Beiträge von Volker Marx auf energieleben.at