Aus Klärschlamm wird Baustoff? Ab 2029 muss Phosphor aus Kläranlagen zurückgewonnen werden – gut für die Umwelt, aber mit einem neuen Problem: Hunderttausende Tonnen mineralischer Rückstände bleiben zurück.

Was passiert, wenn aus einem Umweltgewinn ein neues Problem entsteht? Diese Frage stellen sich derzeit Forschende an der RWTH Aachen und liefern gleich eine vielversprechende Antwort. Denn ab 2029 sind Kläranlagen in Deutschland verpflichtet, mindestens 80 % des im Klärschlamm enthaltenen Phosphors zurückzugewinnen. Gut für Böden und Landwirtschaft – aber mit einem Haken: Bei der Rückgewinnung entstehen jährlich rund 500.000 Tonnen mineralischer Rückstände. Wohin mit dieser gewaltigen Menge?

Die Antwort könnte auf der nächsten Baustelle liegen.

Im Forschungsprojekt REARRANGE arbeiten drei Teams aus unterschiedlichen Fachbereichen der RWTH an einer Lösung, die gleich zwei Herausforderungen adressiert: die Entsorgung der Rückstände und die Reduktion von CO₂ im Bauwesen. Denn Zement – ein zentraler Baustoff – ist für rund acht Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Wenn sich ein Teil davon durch die mineralischen Rückstände aus der Phosphorrückgewinnung ersetzen ließe, wäre das ein doppelter Gewinn für Umwelt und Klima.

Klärschlamm als Ressource

Professorin Anya Vollpracht vom Institut für Baustoffforschung (IBAC) sieht großes Potenzial in dem Material: „Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende ein gutes Produkt haben.“ Erste Tests im Rahmen eines hochschulinternen SeedFunds stimmen optimistisch. Die Herausforderung: Die Rückstände müssen so aufbereitet werden, dass sie sich technisch und qualitativ als Zementersatz eignen – ohne das Ziel der Phosphorrückgewinnung zu gefährden.

Dr. David Montag, Professorin Anya Vollpracht und Professor Peter Letmathe von der RWTH Aachen (v. l.).
Dr. David Montag, Professorin Anya Vollpracht und Professor Peter Letmathe von der RWTH Aachen (v. l.).

Doch nicht nur die Technik zählt. Auch die Wirtschaftlichkeit spielt eine zentrale Rolle. Professor Peter Letmathe vom Lehrstuhl für Controlling analysiert, unter welchen Bedingungen sich das neue Material am Markt durchsetzen könnte – und welche politischen Rahmenbedingungen dafür nötig wären. Denn ohne passende Anreize und klare Vorgaben wird sich ein nachhaltiger Baustoff kaum gegen konventionellen Zement behaupten können.

Unterstützt wird das Projekt auch vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft (ISA), das seine Expertise in der Rückgewinnung von Elementen aus Klärschlamm einbringt. Neben Phosphor könnten künftig auch Industriemetalle wie Kupfer, Zink oder seltene Erden eine Rolle spielen – ein spannender Ausblick auf eine umfassendere Kreislaufwirtschaft.

Noch ist REARRANGE ein Forschungsprojekt. Doch es zeigt, wie sich scheinbare Abfallprodukte in wertvolle Ressourcen verwandeln lassen – wenn man interdisziplinär denkt und mutig neue Wege geht. Die mineralischen Rückstände aus der Phosphorrückgewinnung werden den Zement nicht vollständig ersetzen. Aber sie könnten ein wichtiger Baustein sein – für ein nachhaltigeres Bauwesen und eine ressourcenschonende Zukunft.


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Bild: Wikimedia; RWTH Aachen