Jegliche Themen rund um Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Zukunftsfähigkeit sind komplexe Probleme. Sie haben mehrere Aspekte, die in direkter und teilweise auch indirekter Relation zueinander stehen. Systemisches Denken und die Methoden der Systemdynamik können daher ein sehr hilfreiches Werkzeug sein. Was nun die wichtigen Aspekte dieses Ansatzes sind hat mir Angelika Schanda, die sich auf Systemwissenschaft, Wirkungsanalyse und sozialen Wandel spezialisiert hat, im Gespräch genauer erklärt.
Grundlagen von systemischem Denken
Zu Beginn steht beim systemischen Denken immer die Beobachtung und das Erkennen von Beziehungen und Zusammenhängen innerhalb eines Systems. Ein System kann hierbei jede Form von zusammenhängenden, sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren darstellen.
Nach dem Beobachtung eines Systems und dem Erheben der entsprechenden Daten, geht es darum, Verhaltensmuster über einen gewissen Zeitraum zu erkennen, die eine Idee über die darunterliegende Struktur geben können, die das System antreibt. Erst wenn wir die Strukturen erkennen, die uns nicht dienen – inklusive unserer Gedankenmodelle und Sichtweisen – (siehe Eisberg-Modell), können wir sie ändern und dadurch die Wahlmöglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen erweitern. Durch die Erweiterung der Wahlmöglichkeiten können wir erfolgreichere Langzeitlösungen für chronische Probleme schaffen.
Prinzipien von Systemen
Unabhängig davon, wie ein System aufgebaut ist, gibt es einige grundlegende Prinzipien bei systemischem Denken, die wichtig sind zu berücksichtigen.
Denken in Kreisläufen
Sehr häufig denken wir in einer linearen Abfolge, wie etwa wenn ich A mache, dann passiert B, und das führt zu C. Wenn wir Systeme betrachten, gibt es aber in den meisten Fällen Auswirkungen des Ergebnisses auf den Ursprung. Das bedeutet etwa, dass der Wunsch vom „Schließen regionaler Kreisläufe“ genau genommen bedeutet, dass wir uns Wünschen, dass diese Kreisläufe so verändert werden, dass sie die Region stärken, anstatt sie zu schwächen. Das Ergebnis der Landflucht also besitzt eine Beziehung zum Ausgangspunkt und erschafft somit einen sich reduzierenden Kreislauf.
Komplexität entsteht aus Beziehungen
Wenn wir an komplexe Systeme denken, wandern unsere Gedanken oft zu den vielen Parametern. Also etwa beim Thema CO2-Ausstoß, gibt es Autos, Flugzeuge, Kohlekraftwerke, Viehzucht, etc. Viel wichtiger als diese einzelnen Parameter sind jedoch die Beziehungen untereinander, die meist ein Vielfaches der Parameter darstellen, und wodurch die Komplexität überhaupt erst zustande kommt.
Wie hängt also etwa die verstärkte Mobilität mit dem erhöhten Stromverbrauch und dem erhöhten Fleischkonsum zusammen? Selbst wenn wir nur 3 oder 4 Einflussfaktoren identifizieren, handelt es sich aufgrund der daraus resultierenden exponentiell wachsenden Beziehungen bald schon um ein komplexes System.
Exponentielles Wachstum wird unterschätzt
Bei linearem Wachstum kommt mit jedem Schritt eine immer gleiche Menge zur Masse dazu. Bei exponentiellem Wachstum verdoppelt sich die wachsende Menge, die hinzukommt. Es scheint so, als passiere lange nichts, und irgendwann schießt es in die Höhe.
Ein schönes Beispiel ist das Aussetzen einer Seerose in einen Teich, die sich jeden Tag verdoppelt, und in 48 Tagen den ganzen Teich überdeckt. Bei exponentiellem Wachstum bedeckt diese am Tag 47 erst die Hälfte des Teiches.
Es kann daher sein, dass sich durch dieses exponentielle Wachstum schlagartig Dinge in einem System verändern, wenn wir nichts am Wachstum ändern.
Ein kleiner Eingriff kann große Veränderung bewirken
Wie es das wunderschöne Beispiel der Wiedereinbürgerung der Wölfe im Yellowstone Nationalpark zeigt, kann oft ein kleiner Eingriff mehr bewirken als wir denken. Auch das Beispiel der Drogenlegalisierung in Portugal vor inzwischen 20 Jahren veranschaulicht, wie eine recht kleine Veränderung eines Parameters weitläufige Auswirkungen haben kann.
Auch wenn die hier angeführten Beispiele positive Auswirkungen hatten, ist es jedoch wichtig, dass wir uns Bewusst machen, dass Systeme nicht bewerten, und daher die gleiche Dynamik der kleinen Eingriffe auch große negative Auswirkungen haben kann.
„Das haben wir immer schon so gemacht“ zählt nicht
Nur weil etwas bisher immer funktioniert hat, heißt es nicht, dass es auch weiterhin so funktionieren wird. Jedes System hat einen Tipping point, also einen Kippunkt. Das ist ein Moment, eine Situation, wo sich das System stark verändert. Das zeigt etwa die Studie, welche Aspekte bei der Haltung von Rentierherden in Finnland zu sozialen oder ökologischen Kippunkten führen.
Es wird aufgezeigt, dass eine bestimmte Fläche Land eine maximale Anzahl an Tieren gut versorgen kann. Erhöht man die Anzahl hier aber nur minimal, und macht sonst alles wie bisher, kann das dazu führen, dass nicht nur ein paar Tiere, sondern ein Großteil der Herde krank wird, oder aus anderen Gründen stirbt.
Das Eisberg-Modell
Fast jeder hat schon vom Eisberg-Modell gehört, dass nur die Spitze des Eisbergs sichtbar ist, und der Großteil unter dem Wasser unsichtbar. Was jedoch weniger bekannt ist, sind die Aspekte, die sich unter dem Wasser befinden.
Betrachtet man die Spitze des Eisbergs als die sichtbaren Aktionen die passieren, liegen darunter Verhaltensmuster, die wir über einen längeren Zeitraum feststellen können. Wiederum darunter liegt die Struktur des Systems. Sie erklärt, wie die einzelnen Aspekte in Beziehung stehen, und was die darüber liegenden Verhaltensmuster beeinflusst. An der Basis des Eisberges liegen die entsprechenden Gedankenmodelle des Systems. Das sind die Werte, Annahmen und Glaubenssätze, die das System formen.
Im Kern geht es also darum, all diese Ebenen zu erkennen und zu analysieren, um basierend darauf die möglicherweise recht kleinen Eingriffe zu identifizieren, die notwendig sind, um das System nachhaltig und grundlegend zu verändern.
Umsetzung
Wie können wir also die Idee des systemischen Denkens in der Problemlösung ganz konkret einsetzen? Wenn wir sowohl die Grundlagen, als auch die Prinzipien beachten, und davon ausgehend ein (komplexes) Problem analysieren, zeigt uns das wahrscheinlich Aspekte, Gefahren und Wahlmöglichkeiten auf, die wir davor nicht beachtet hatten.
Fazit
Systemisches Denken ist eine Sichtweise auf die Welt. Der erste Schritt ist, dass wir alles, was wir beobachten, als System mit darunter liegenden Verhaltensmustern, Strukturen und Gedankenmodellen betrachten. Wenn wir uns dann noch bewusst machen, dass es immer auf die Beziehungen untereinander ankommt, und alles in Kreisläufen agiert, kann sich schon vieles, das davor komplex oder unlösbar gewirkt hat, möglicherweise viel leichter lösen.
Quellen
Die Wichtigkeit großer Raubtiere
wikipedia.org: System Dynamics
donellameadows.org: Systems Thinking Resources
donellameadows.org: Iceberg Model
youngmodeler.wordpress.com
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br.de: Drogenpolitik Portugal
zeit.de: Drogenpolitik Therapie Entkriminalisierung Drogenkonsum Portugal
donellameadows.org: Global Citizen Columns
thesystemsthinker.com: systems thinking what why when where and how
corporatestrategies.org: systems thinking and system dynamics