Draußen mit der Natur leben anstatt sie nur besuchen.
Dieser Artikel wurde am 3. März 2021 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Wenn wir längere Zeit draußen in der Natur leben, mit einfachsten Mitteln, und wenig bis keine Einflüsse oder Verbindungen zur digitalen Außenwelt haben, dann hat das eine große Auswirkung auf uns und unser Nervensystem. Nachdem ich einmal 2 Monate, und mehrmals 2-3 Wochen am Stück relativ minimalistisch und „primitiv“ in der wilden Natur gelebt habe, teile ich nun meine Erfahrungen, was es bedeutet, tiefer in das natürliche Gefüge einzutauchen.

Was ist tiefes Eintauchen?

Mangels besserer Worte nenne ich es ein tiefes Eintauchen in die Natur, wenn wir ohne jegliches künstliche Licht, ohne Uhr, ohne Hinweis auf den Kalendertag und ohne Kontakt zu dieser „modernen“ Welt für mehr als nur ein paar Tage leben und nicht in geschlossenen Gebäuden schlafen. Erst nach einiger Zeit können wir die Ideen dieser arbiträren Konstrukte von Zeit hinter uns lassen, und uns vollständig auf das Hier und Jetzt konzentrieren.

Beim Kochen am Feuer bekommt das Essen oft einen ganz besonderen, intensiveren Geschmack. – Photocredit: wildewurzeln.at/Elisabeth Demeter

Und wenn wir im Hier und Jetzt leben, dann beginnen wir auch, schrittweise unsere Umgebung nochmal mit ganz anderen Augen zu sehen, und fühlen uns immer mehr als Teil davon. Wir essen immer mehr Kräuter und Pflanzen direkt von dem Ort wo wir uns befinden, und geben auch unsere Ausscheidungen als Dünger wieder direkt zurück. Dadurch entsteht auch ein neues, tieferes Verständnis über natürliche Kreisläufe.

Die Wirkung

Dieses tiefe Eintauchen hat so viele unterschiedliche Ebenen der Wirkung auf uns als Menschen, dass diese Beobachtung hier keinerlei als vollständig betrachtet werden kann. Sowohl meine Erfahrung, als auch die von vielen anderen, die ähnliches erlebt haben, zeigt ein Beruhigen des Nervensystems. Selbst wenn sehr viel davon, was wir in der wilden Natur erleben mögen völlig neu ist, und uns ständig vor neue Herausforderungen stellt, so ist es dennoch ein sehr eingegrenzter Stressfaktor.

Feuerholz ist ein ständiger Begleiter beim Leben draußen. – Photocredit: wildewurzeln.at/Elisabeth Demeter

In unserer modernen Welt passiert es uns sehr häufig, dass es eine unendlich scheinende Anzahl an Möglichkeiten und möglichen Aufgaben gibt. Außerdem ist es oft nicht so relevant, ob diese am selben Tag oder einen Tag später, oder ein paar Wochen später passieren. Dies hält unser Nervensystem ständig auf Hochspannung, ohne Phasen der Ruhe zu erlauben.

Beim Leben in und mit der Natur kann zwar in einem bestimmten Moment möglicherweise gerade viel zu tun sein, weil Feuerholz gesammelt, Kleidung gewaschen, und gleichzeitig das Essen vorbereitet werden muss. Wenn dieser momentane Stress jedoch vorbei ist, kann das interne System wieder entspannen. Die Aufgaben, die zu erledigen sind, sind überschaubar, und meist auf einen Tag oder zumindest wenige Tage beschränkt, und danach klar abgeschlossen.

Und dies ist nur eine von vielen wirklich tief gehenden Auswirkungen auf uns Menschen.

Feuer ohne Streichholz sondern mit Reibung zu erzeugen schafft eine ganz besondere Beziehung zum Element Feuer. – Photocredit: wildewurzeln.at/Elisabeth Demeter

Warum ist das wichtig?

Diese Entspannung unseres gesamten Systems und das Leben im Hier und Jetzt hilft uns in weiterer Folge, nicht nur uns selbst sondern auch unsere Umgebung besser wahrzunehmen. Wir sind immer am gleichen Ort, ohne Ablenkung durch diverse Medien, ständig wechselnde Menschen, oder diverse sonstige Stimulanzien. Dadurch merken wir kleine Veränderungen in unserer Umgebung viel schneller. Sei es nun das Wetter, die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Tiere, oder das jahreszeitliche Wachstum der Pflanzen. Jeden Tag können wir kleine Nuancen an Veränderung feststellen. Dadurch entsteht einerseits eine Beziehung zu diesen Lebewesen oder Naturgewalten, und andererseits können wir unseren eigenen Einfluss auf dieses Lebens-Netzwerk besser wahrnehmen. Wir nehmen uns immer mehr als Teil dieser natürlichen Familie wahr. Und zwar vor allem nicht nur kognitiv, sondern auch auf körperlicher und emotionaler Ebene.

Wie ist tiefes Eintauchen möglich?

Dieses tiefe Eintauchen ist – meiner Erfahrung nach – für die meisten in der modernen Welt aufgewachsenen Menschen im ersten Schritt nur in einem sicheren Rahmen und mit Unterstützung und Begleitung von Außen möglich bzw. empfehlenswert. Dies beinhaltet sowohl die Grundversorgung mit Lebensmitteln, als auch das Lernen der benötigten Fähigkeiten rund um Essen, Behausung und Umgang mit den Elementen, inklusive der Begleitung der inneren Prozesse.

Beim drinken direkt von der Quelle können wir uns (wenn getestet und ungefährlich – besonders gut mit unserer Umgebung verbinden. – Photocredit: wildewurzeln.at/Elisabeth Demeter

Außerdem ist es in jedem Fall relevant, dies nicht alleine, sondern in einer Gruppe zu tun. Wenn wir all die Dinge, die notwendig sind zum draußen Leben ganz alleine abdecken müssen, kommen wir möglicherweise gar nicht oder sehr spät erst an den Punkt, wo wir tatsächlich mal in die Wahrnehmung dieses Gefühls einsteigen können.

Je nachdem, wo und wie lange wir tief eintauchen wollen, gibt es unterschiedliche Programme, die wir in dem Zusammenhang besuchen können (siehe Links in den weiterführenden Quellen).

Fazit

Die von mir beschriebenen Erfahrungen habe ich jeweils in einem Umfeld eines angeleiteten Programms gesammelt (sowohl als Teilnehmerin als auch in der Leitung). Dadurch konnte ich in ein Vertrauen gehen, das mir die Erfahrung des tiefen Eintauchens ermöglicht hat, ohne mich in eine Überlebenskrise zu stürzen. Mit jedem Schritt des tiefer Eintauchens sammle ich jedoch mehr Erfahrungen und Fähigkeiten, um dieses Erlebnis auch ohne einen zusätzlichen schützenden Rahmen zu machen.

Weiterführende Quellen

teachingdrum.org: Wilderness Guide Program (11-monatiges Eintauchen in den USA)
wildmoon.eu: 1-monatiges Programm in Schweden
wildewurzeln.at: Wilde Woche für Familien (Österreich)