Bereits im Vorfeld des Beschlusses zum Brexit wurde viel spekuliert: Was bedeute ein EU-Austritt wohl für die Umweltpolitik des Landes? Manche Experten sehen schon den Rückfall in düstere Smog-Zeiten der 70er. Und auch wenn andere Vermutungen etwas vorsichtiger ausgedrückt sind, gehen alle unterm Strich doch von einer Verschlechterung für die Umwelt aus.
Brexit und EU-Austritt könnten britischer Umwelt schaden
Vor dem Brexit-Referendum hatte sich das unabhängige Forschungsinstitut Institute for European Environmental Policy (IEEP) mit einer Studie der Thematik angenommen. Ihr Fazit: „Die Risiken, die ein EU-Austritt mit sich bringt, beeinflussen die Natur maßgeblich.“ Die EU-Mitgliedschaft eines Staates hätte einen bedeutend positiven Einfluss auf dessen Umwelt. EU-Auflagen regeln etwa die Luft- und Wasserverschmutzung sowie den Ausstoß von Treibhausgasen. Auch Tier- und Pflanzenarten werden durch EU-Gesetze geschützt. Mit dem Austritt sei es Großbritannien selbst überlassen, wie streng oder lax es mit der Umsetzung dieser Regelungen umgehe. Der EU-Austritt könne die britische Umwelt so potentiell in hohem Maße gefährden.
Doch wieso ist man da so pessimistisch? Nun, die IEEP-Experten stützen sich bei dieser These auf die Beobachtung der letzten Jahre, in denen sich die britische Regierung oft gegen Umweltschutzgesetze gestellt hätte. So geht man auch für die Zukunft von einem „weniger ambitionierten Ansatz zum Umweltschutz“ aus.
Werden bestehende EU-Rechte in Zukunft nur modifiziert?
Laut eines Presseberichts der Fernuni Hagen formulieren einige britische Politikwissenschaftler den Sachverhalt in einem Gutachten etwas moderater (s.u. Publikation). Sie halten es für unwahrscheinlich, dass mit dem EU-Austritt plötzlich alle Umweltgesetze abgeschafft werden. Für wahrscheinlicher halten sie es, dass bestehende EU-Rechte behalten und je nach politischer Mehrheit modifiziert werden. Viele Regelungen, wie in den Bereichen Klimaschutz, Chemikalien oder Giftmüll, seien sowieso internationale Verpflichtungen, die vom Austritt unberührt blieben. Doch in einzelnen Bereichen gehe man schon von einer „Deregulierung“ der Umweltpolitik und einer damit verbundenen Verschlechterung der Umweltqualität aus.
Umweltschützer befürchten Rückfall
Smog in den Städten, Ölfilme an den Stränden, Nitrat im Trinkwasser – In den Siebzigern gehörte Großbritannien zu den größten Umweltsündern Europas und trug den Spitznamen The Dirty Man of Europe. Mit dem EU-Beitritt 1973 verbesserte sich die Umweltqualität durch die EU-Direktiven. Laut Friends oft he Earth gehen 85 Prozent der britischen Umweltgesetze auf sie zurück.
Doch die Haltung der britischen Regierung den Umweltschutzmaßnahmen gegenüber war wohl stets eher verhalten. Gegen die Regulierung zum Gebrauch von Pestiziden wehrte man sich, Vorgaben zur Verbesserung der Badewasserqualität wurden erst nach Jahrzehnten umgesetzt, Maßnahmen zur Luftqualität setzte man erst nach Klagen von Umweltschützern gegen den Verstoß von EU-Regeln um. Und tatsächlich, nach dem Brexit-Beschluss werden wohl schon die ersten Forderungen laut, die Umweltstandards wieder aufzulockern. Das Argument, welch Überraschung: Sie behinderten die britische Wirtschaft.
Bewirkt der Brexit eine neue Welle der Umweltverschmutzung?
Ein Beispiel: Eine britische Firma hat vor, mitten in einem Naturschutzgebiet einen Superhafen für Containerschiffe zu bauen. Auch wenn sie das Land erworben hatte, so erhielten sie bisher keine Baugenehmigung, da es unter EU-Direktive zum Schutz von Wildvögeln steht. Der britische Landwirtschaftsminister hatte wohl schon vor dem Brexit-Beschluss verlauten lassen, nach dem Austritt die Gesetze zum Vogel- und Naturschutz ändern zu wollen, da sie den „Geist des Unternehmertums ersticken“. Nun steigt die Chance, dass das Bauvorhaben doch genehmigt wird.
In den Startlöchern steht schon die Zement- und Stahlindustrie, die auf das Ende des EU-Emissionsrechtehandels hofft. Ebenso hoffen Hersteller von Pestiziden und die Fracking-Industrie auf eine Lockerung der Vorgaben in der Chemikalienverordnung. Labour Schattenumweltminister Barry Gardiner sagte gegenüber SPIEGEL ONLINE: „Ich fürchte, dass ohne Druck der EU die alte Obsession eines möglichst unregulierten Markts wieder aufleben würde“, mit der Folge einer „neuen Welle der Umweltverschmutzung“. Eine Studie der Universitäten York und East Anglia lässt dagegen etwas Hoffnung durchschimmern. Nicht alle Umweltgesetze könnten einfach so gelockert werden, da Großbritannien weiterhin Interesse am Zugang zum europäischen Markt hätte und so Zugeständnisse machen müsse.
Brexit fördert Angst vorm Dirty Man
Eine wichtige Vorgabe fällt nach dem Brexit-Beschluss mit dem EU-Austritt auf jeden Fall weg: das Vorsorgeprinzip. Es regelt, dass Firmen vor Aufnahme eines Projektes beweisen müssen, dass es unbedenklich für die Umwelt ist. Ein Verbot des Projektes kann schon bei einem Verdacht, dass es umweltschädlich sein könnte, ausgesprochen werden. In der britischen Gesetzgebung gibt es das Vorsorgeprinzip nicht.
Es herrscht Angst vor der Rückkehr des Dirty Man`s – und sie scheint berechtigt.
Publikation: Burns, C. A., A. Jordan, V. Gravey, N. Berny, S. Bulmer, N. Carter, R. Cowell, J. Dutton, B. Moore, S. Owens, T. Rayner, J. Scott and B. Stewart (2016). The EU Referendum and the UK Environment: An Expert Review. How has EU membership affected the UK and what might change in the event of a vote to Remain or Leave, available online at: ukandeu.ac.uk/wp-content/uploads/2016/04/Expert-Review_EU-referendum-UK-environment.pdf