Dieser Artikel wurde am 29. Mai 2013 veröffentlicht und ist möglicherweise nicht mehr aktuell! Wer ist Schuld an dem Wahnsinn der Billigpreise. Der Kunde, die Händler, die Politik? Auch die…
Dieser Artikel wurde am 29. Mai 2013 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Wer ist Schuld an dem Wahnsinn der Billigpreise. Der Kunde, die Händler, die Politik? Auch die Runde bei Günther Jauch am Sonntag, den 26.05. 2013 konnte das nicht klären, wies letztlich allen die Schuld zu. Unter dem Wahnsinn leiden aber auch alle, ist es also Masochismus?

http://programm.ard.de/TV/daserste/guenther-jauch/eid_281069950887881?sender=daserste&datum=26.05.2013&list=main&first=1&source=tagesprogramm 

 

Der Wahnsinn liegt im System der Marktwirtschaft

 

Keiner der Anwesenden und auch keiner der Kommentatoren traute sich offenbar, „das Kind beim Namen“ zu nennen. Schuld an dem ganzen System ist der Markt, auf dem die Betriebe mit einem irrsinnigen Preiskampf versuchen, diesen zu beherrschen. Die Folge sind auf der einen Seite immer geringere Preise, zu denen in Europa niemand mehr irgendetwas herstellen kann. Auf der anderen Seite leiden Millionen von Menschen in Asien und Afrika, weil ihnen dort – zumindest auf den ersten Blick – keine Wahl bleibt, als zu Sklavenbedingungen in den Betrieben der westlichen Konzerne zu arbeiten. Auf den zweiten Blick erkennt man allerdings, dass die Näherinnen für die gleiche Arbeit in den landeseigenen Betrieben, die Kleidung für den heimischen Markt produzieren wesentlich besser bezahlt und behandelt werden. Diese Produkte sind dann auf dem dortigen Markt kaum teurer, als diejenigen, die sie zu Bedingungen eines Arbeitslagers herstellen müssen, weil ja auch der ganze Zwischenhandel und der enorme Profit der westlichen Konzerne entfällt. Von den zehn Euro, die ein Kleidungsstück in Europa kostet, erhält die Näherin in Bangladesch nämlich nur zehn Cent. Echte Sklaven, zum Beispiel im alten Rom wurden im Übrigen wesentlich besser behandelt, fast wie Mitglieder der Familie, mit ärztlicher Versorgung und guter Verpflegung und Kleidung. Davon können die modernen Sklaven nur träumen.

 

Das Märchen vom Reichtum und den günstigen Produkten

 

Es geht dabei in den „reichen“ Industriestaaten dabei auch nicht darum, die Menschen günstig mit allen erforderlichen Dingen, Kleidung und Lebensmitteln auszustatten. Es geht lediglich darum, möglichst viel Umsatz mit irgendeinem, in der Regel sogar völlig unsinnigen Produkt zu machen. In Statistiken wird dann vorgerechnet, dass ein Bürger in Deutschland 1960 etwa 77 Minuten für einen Anzug und ein Paar Schuhe arbeiten musste, während er 2011 nur noch 20 Minuten dafür braucht. Das ist eine Milchmädchenrechnung. In Wahrheit arbeitet er 2011 dafür fast 200 Minuten, weil er sich nämlich 10 Ausstattungen kaufen muss, während der Anzug und die Schuhe 1960 noch von so guter Qualität waren, dass sie Jahrzehnte hielten und sogar repariert werden konnten. Genauso verhält es sich mit Haushaltsgeräten. Eine Waschmaschine kaufte man einmalig, für mindestens 25 Jahre, wechselte allenfalls alle 3 bis 5 Jahre den Keilriemen.

Der Betrug ist also, dass die Menschen heute permanent genötigt werden, neue Produkte zu kaufen, weil entweder die gerade erworbenen schon kaputt sind, oder die „Mode“ den Menschen einredet, dass sie völlig veraltete Produkte besitzen. Die Konzerne brauchen Umsatz und Wachstum und die Menschen müssen permanent kaufen.

 

Der Wachstums- und Umsatzwahn töten Menschen

 

Jean Ziegler nennt dieses Wirtschaftssystem „Kannibalismus“. Man könnte es ebenso „Faschismus“ nennen. Menschen besitzen keinen Wert, weder die Arbeiter, die als Kostenfaktor berechnet – und behandelt werden – noch die Kunden, die nur noch Konsumenten, also „Müllverwerter“ sind. Der Betriebsdirektor, der wie ein Vater für seine Mitarbeiter sorgt und sich bemüht, ein gutes Produkt herzustellen – möglicherweise sogar ohne Hilfe einer ihn pressenden Bank – ist lange ausgestorben. Alle Menschen sind nur noch Faktoren in einer großen Bilanzrechnung. Dieses nicht nur in der Bekleidungsindustrie, sondern in allen Bereichen ihres Lebens. Das System ist also in der Tat entmenschlicht, hochgradig faschistisch.

Den Kunden, denen alle Beteiligten so viel Macht zusprechen, bleibt oft gar keine andere Wahl, als den „billigen Unsinn“ zu kaufen, weil sie eben „keine Auswahl“ haben. Das einfache, qualitativ gute Produkt ist in der Regel nicht auf dem Markt, nur für Insider in kleinen Nischen aufzufinden. Für eine Vollversorgung aller Bürger mit guten – und damit eben auch günstigen – Produkten fehlt der politische Wille, der dem Kannibalismus des „Marktes“ einfach ein Ende setzt.

Ein Gesetz, das jeden Produzenten für das Wohl seiner Mitarbeiter – wo auch immer diese für ihn arbeiten oder auch nur Teile zuliefern – und die Qualität seiner Produkte verantwortlich macht, würde dem blindwütigen Treiben sehr schnell ein Ende setzen. In den Ländern Europas und der USA hätten alle Menschen plötzlich wieder eine „menschliche“ Arbeit und in den Ländern Asiens und Afrikas könnte sich wieder eine lokale Wirtschaft entwickeln, welche nämlich in den letzten 200 Jahren systematisch zerstört wurde – durch die Kolonialmächte, die dort leider bis heute noch wüten.