Hygiene- und Haushaltsartikel, Büro- und Schulmaterialien, Elektronik, Einrichtungsgegenstände, Bekleidung, Schuhe, Werkzeug: Der Onlineshop von diefairmittlerei.at bietet, was das Herz begehrt. In Markenqualität. Zu extrem geringen Preisen. Allein: Kaufen kann man als Privatperson hier nichts. Denn die gelisteten Produkte sind NGOs vorbehalten. Was mit einer Idee im Sommer 2015 begonnen hat, wurde mit der Vereinsgründung 2016 in eine sozial-nachhaltige Realität übersetzt. Mit der „Fairmittlerei“ hat Michael Reiter-Coban eine Organisation ins Leben gerufen, die sich der sozialen Gerechtigkeit mithilfe von bisher ungenutzten Ressourcen verschrieben hat. Im ausnehmend sympathischen Interview hat uns der Fairmittlungs-Profi erklärt, wie überschüssiges Waschmittel zu einer äußerst wertvollen und vor allem sozial nachhaltigen Hilfe für gemeinnützige Organisationen werden kann.
Was genau macht die Fairmittlerei?
Reiter-Coban: „Die Fairmittlerei ist ein kleiner Beitrag dazu, dass die Welt ein Stückchen besser wird. Unser Prinzip ist, dass wir Firmen Produkte abnehmen, von denen sie zu viel haben, die sie nicht verkaufen können oder wollen und die sie ansonsten entsorgen würden. Und diese Artikel verteilen wir dann wiederum an die, die davon zu wenig haben. Also konkret an gemeinnützige Organisationen. Und deren Bedarf ist enorm bzw. wächst. Denn man muss sich vorstellen, dass es im Sozialwesen einfach extrem viele Bereiche gibt, die seit Jahren oder teilweise sogar seit Jahrzehnten keine Indexanpassung ihrer Subventionen erfahren haben, obwohl die Kosten trotzdem ständig steigen. Das gilt sowohl für die Kosten von Produkten als auch für die Löhne der Mitarbeitenden. Bewerkstelligt muss der finanzielle Aufwand der NGOs damit teilweise aus Budgets werden, die sich seit 30 Jahren nicht verändert haben. Wieder anderen Organisationen wurden die Förderungen zuletzt gleich ganz gestrichen. Das geht einfach nicht. Und genau hier sehen wir die Möglichkeit der Unterstützung.“
Wie sieht diese Unterstützung konkret aus. Kannst du das an einem Beispiel zeigen?
Reiter-Coban: „Nehmen wir zum Beispiel die Firma Henkel. Die führt ein neues Waschmittel ein und ein altes wird aus dem Sortiment genommen. Die Restbestände des Vorgängerproduktes bekommen in den Regalen der Supermärkte dann keinen Platz mehr. Die einfachste Version für das Unternehmen wäre jetzt, dieses Restbestände einfach zu vernichten. Dank der Fairmittlerei können die Zuständigen jetzt aber uns anrufen. In dem Beispiel fragt Henkel dann, ob wir die Restmengen an Waschmittel wollen. Dann holen wir sie ab oder bekommen sie geliefert und lagern sie in unserem großen Lager, das wir auf eigene Kosten betreiben, zwischen. Dann stellen wir sie auf unseren Webshop und NGOs können die Produkte dann dort bestellen. Und zwar für eine Vermittlungsgebühr, die bei etwa 20 bis 25 Prozent des eigentlichen Produktpreises liegt. Damit finanzieren wir uns neben einem geringen Teil an Förderungen und einem noch deutlich geringeren Anteil an Privatspenden.“
Und für diesen Online-Shop kann ich mich als NGO ganz einfach registrieren?
Reiter-Coban: „Genau. Aber wir prüfen hier natürlich sehr wohl genau, wer sich registriert. Bei großen bekannten NGOs wie der Caritas oder dem SOS Kinderdorf ist das natürlich einfach, aber auch kleinere Vereine und NGOs melden sich bei uns. Da schauen wir sehr genau und prüfen sowohl den sozialen als auch den nachhaltigen Mehrwert einer Organisation. Ein Fußballverein ist ja quasi auch eine NGO, aber das wäre uns im Sinne der Bedürftigkeit nicht sozial genug. Auch bei den Bestellungen selbst achten wir auf Fairness. Wenn also beispielsweise eine Organisation, die unseres Wissens nach 20 Menschen betreut, 7000 Shampoos bestellt, dann fragen wir vorher schon ganz genau nach, warum und weshalb. Und wenn aus unserer Sicht der Mehrwert gegeben ist, können sich die Organisationen ihre Produkte dann abholen oder wir liefern sie auch.“
Blöde Frage, aber: Wieso ist das nicht automatisch das Vorgehen, wenn Unternehmen überschüssige Ware haben? Also weshalb wird die nicht automatisch für gute Zwecke gespendet?
Reiter-Coban: „Die traurige aber leider realistische Antwort ist: Weil es die schnellste und einfachste Variante ist, es vernichten zu lassen. Das ist ja diese schreckliche Situation, vor der wir im Hinblick auf die Non-Food-Verschwendung stehen. Alleine in Österreich werden jedes Jahr bis zu 2250 Tonnen gebrauchsfähige Drogerieartikel vernichtet! Jedes Jahr! Alleine in Österreich! Das ist irre. Das ist unnötig. Aber die Vernichtung ist nun einmal die machbarste Variante für viele. Wenn Restware vernichtet wird, bedeutet das für die Zuständigen – vereinfacht ausgedrückt – einfach einen Anruf beim Entsorger. Da wird nur gefragt, was es ist, wie viel es ist und schon kommen sie, holen es ab, man unterschreibt einen Zettel, zahlt die Rechnung. Fertig. Das sind Prozesse, die eingespielt, kalkulierbar und auch machbar sind. Stell’ dir einmal vor, eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter würde stattdessen beginnen, 30 verschiede NGOs anzuschreiben, alle abzufragen, wer vielleicht was benötigt, dann müsste sie oder er zig verschiedene Abholtermine koordinieren und dafür sorgen, dass palettenweise Ware einzeln oder Kartonweise abgegeben wird. Das ist Arbeit, für die niemand Zeit hat nebenher und die tut sich keiner an. Und aus wirtschaftlicher Sicht verstehe ich das leider auch. Es ist übrigens auch für die NGOs im jetzigen Standardsystem schwierig. Ich habe von einem Fall gehört, da musste sich eine gemeinnützige Organisation einen extra Raum mieten, um die palettenweise gespendeten Waschmittelvorräte für mehrere Jahre überhaupt lagern zu können. Das ist eben ein riesiges Systemproblem. Aber genau hier setzt auch unsere Arbeit an. Wir nehmen den Herstellern ihre Überschussware unkompliziert palettenweise in großen Mengen ab, lagern sie zwischen und geben sie in kleinen, benötigten Mengen wieder ab.“
Du sprichst von einem Systemproblem. Was genau beinhaltet das deiner Ansicht nach?
Reiter-Coban: „Es geht um ein gewachsenes System, das menschlich und sozial keinen Sinn ergibt, aber für das es auch keine flächendeckenden einfachen Alternativlösungen auf die Schnelle gibt. Wir sind ja in der Fairmittlerei arbeitstechnisch auch an unseren Grenzen. In diesem Vernichtungssystem geht es ja auch um Abschreibungen und ökonomische Notwendigkeiten. Spenden müssen ja auch verbucht werden. Mir hat letztens ein Mitarbeiter von einem großen Unternehmen erzählt, er würde gerne mehr spenden, kann aber nicht, weil das Spendenbudget für dieses Jahr aufgebraucht ist. Und Firmen schmeißen ja auch nicht absichtlich oder gern etwas weg. Die wollen ja ihre Produkte an sich verkaufen und Umsätze machen. Es sind also weder die Firmen, noch die Menschen prinzipiell böse. Aber das System ist echt nicht mehr zeitgemäß.“
Du hast gerade gesagt, ihr seid auch immer wieder an euren Grenzen. Was bedeutet das?
Reiter-Coban: „Naja, von dem, was wir als Verein an Geldern zur Verfügung haben, kann ich derzeit gerade einmal zwei Menschen geringfügig beschäftigen. Wahrscheinlich bräuchte es aber noch weitere vier Vollzeitstellen, um die Arbeit zu bewältigen. Und das, obwohl wir glücklicherweise sogar zwölf ehrenamtlich tätige Mitarbeitende haben. Es gibt einfach so viel zu tun. Unsere finanzielle Lage führt dabei auch immer wieder zu Momenten, die einfach richtig schrecklich sind. Ich hab’ beispielsweise einen geringfügigen Mitarbeiter, der in der Zeit seiner Mitarbeit auch zu einem Freund wurde, vor Weihnachten sagen müssen, dass wir ihn nicht mehr zahlen können. Das fühlt sich einfach extrem schlimm an. Aber – und jetzt muss ich einen ganz deppaten Spruch zitieren, der aber leider stimmt: ,Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.’ (lacht) Dann gibt es nämlich immer wieder so großartige Momente in unserer Arbeit. Wenn wir zum Beispiel von Medien aktiv auf unserer Arbeit angesprochen werden oder wenn dir eine NGO Mitarbeiterin erzählt, dass sie für ihre Klientinnen und Klienten einen Ausflug organisieren konnten mit dem Geld, das sie dank uns gespart haben. Das fühlt sich dann einfach wirklich gut an. Das sind so Momente, da glaubst du, du rennst über ein Sonnenblumenfeld und es fliegen Seifenblasen herum oder so.“ (lacht)
Apropos Sonnenblumenfeld-Momente: Gibt es denn etwas, wo man euch auch als Privatperson unterstützen kann, das für eure Arbeit wirklich hilfreich ist?
Reiter-Coban: „Ja: Über uns reden, reden und reden und damit auch das Thema der Non-food-Verschwendung bekannt machen. Bei Lebensmitteln gibt es da ja mittlerweile ein Bewusstsein dafür. In unserem Bereich ist das noch anders. Und auch über uns auf Facobook, Instagram und LinkedIn aufmerksam machen, hilft. Erst übers Reden erfahren die Leute in großen Unternehmen oder NGOs von uns. Meistens kennt jeder ein Unternehmen, das sich freuen würde, wenn es wüsste, dass wir ihnen unkompliziert Restbestände abnehmen – das können zum Beispiel auch Werbedrucksorten sein, also Blocks und Stifte, wenn sich ein Firmenlogo geändert hat. Oder man kennt eine gemeinnützige Organisation, die man auf uns aufmerksam macht. Natürlich kann man uns auch mit Spenden unterstützen. Außerdem sind wir auch ganz besonders für ehrenamtliche Mitarbeitende dankbar, falls sich jemand bereit erklären möchte, uns langfristig – und da rede ich von zumindest einem Jahr – zu helfen. Denn auch bei unseren Mitarbeitenden ist für uns das Thema der Nachhaltigkeit im Sinne einer nachhaltigen Zusammenarbeit wichtig.
Apropos Nachhaltigkeit: Das ist ein großes Wort. Was verstehst du ganz persönlich darunter?
Reiter-Coban: „Nachhaltigkeit bedeutet für mich natürlich auch Verantwortung gegenüber unserer Umwelt. Also achtsam sein, Müll reduzieren, ökologisch denken. Aber Nachhaltigkeit ist für mich eben nicht nur, darauf zu achten, dass man kein Papierl auf den Boden schmeißt. Nachhaltigkeit heißt, sich tatsächlich zu überlegen, was man tut. Was unser Verhalten für Auswirkungen hat und wie man Verbesserungen langfristig umsetzen kann. Nachhaltiges Denken ist mir oft zu ausschließlich ökologisch getrieben. Wir müssen aber ökonomisch nachhaltig wirtschaften. Wir müssen Einkünfte generieren. Nur damit können wir und unser Angebot bestehen bleiben.“
Fotocredits: © Sofie Hörtler (2), Jochen Klöck, Lukas Ilgner
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