Es scheint, als wäre Burkhard Hölzls Weg zum Fernkälte-Profi bei Wien Energie bereits lange vorgezeichnet gewesen: Seit jeher energieinteressiert, besuchte er zuerst die HTL im Zweig Maschinenbau, bevor er sich im Elektrotechnik-Studium auf Energietechnik spezialisierte. Heute ist Hölzl Gruppenleiter für Kundengroßprojekte bei Wien Energie. Er beschäftigt sich in seiner Funktion beispielsweise mit der Frage, wie man Energien möglichst nachhaltig nutzen kann. Doch Nachhaltigkeit ist für den Energietechniker auch privat ein Thema: Er betreibt nämlich nebenbei noch eine kleine Bio-Landwirtschaft. Wir haben den Profi zum Interview getroffen und nachgefragt, was genau diese Fernkälte eigentlich ist.
Herr Hölzl, Sie sind bei Wien Energie für Kundengroßprojekte verantwortlich: Inwiefern haben Sie dabei mit dem Thema Nachhaltigkeit zu tun?
Nachhaltigkeit ist uns sowohl in kleinen als auch in großen Projekten seit jeher wichtig. Allerdings bemerken wir in den letzten Jahren, dass auch unsere Kunden immer mehr Bewusstsein für energieeffiziente Ansätze entwickeln. Früher haben Gewerbekunden oftmals halt einfach die Stromrechnung bezahlt, ohne sich für den Verbrauch und vor allem für die Umweltzusammenhänge dabei zu interessieren. Und da habe ich den Eindruck, dass es ein deutliches Umdenken in den Köpfen gibt: Bauträger kommen heute anders auf uns zu. Sie fragen, was möglich ist und da macht es mir dann besonderen Spaß, über den Tellerrand hinaus zu blicken: Wenn wir beim Thema Kälteproduktion sind, bedeutet nachhaltiges Denken, sich auch zu fragen, wie man die überschüssige Energie noch sinnvoll nutzen kann.
Apropos Kälteproduktion: Fernwärme kennt man mittlerweile, aber was ist eigentlich diese Fernkälte?
Fernkälte ist Kühlenergie, die zum größten Teil durch Abwärme bei Verbrennungsprozessen gewonnen wird. Das heißt, für die Entstehung der kühlen Luft wird eigentlich Wärme verwendet. Das spart Strom und reduziert gleichzeitig schädliche Emissionen. Unsere Technik ist dabei sehr effizient – wir können Kälte also sehr günstig und auch umweltschonend erzeugen. Es gibt derzeit technologisch nichts Nachhaltigeres und Effektiveres an Kühlmöglichkeiten.
Können Sie das bitte noch ein wenig näher erklären? Wie genau funktioniert diese Technik?
Nehmen wir das Beispiel der Müllverbrennungsanlage Spittelau. Wir nutzen hier Energie aus Abwärme, die dort entsteht, um Wasser auf etwa fünf bis sechs Grad Celsius abzukühlen. Dieses gekühlte Wasser wird dann über unser Fernkältenetz direkt zu den Abnehmern transportiert und sorgt über eigene Kühlsysteme in den Gebäuden für angenehmes Raumklima auch im Hochsommer. Wir nutzen dabei unterschiedliche Arten der Rückkühlung, wie zum Beispiel offene Kühltürme, aber auch den Donaukanal.
Der Donaukanal als Kühlmöglichkeit? Das klingt spannend. Wie darf man sich das vorstellen?
Dazu muss man verstehen, dass es physikalisch eigentlich falsch formuliert ist, von Kälteerzeugung zu sprechen. Richtiger wäre: Wir „rauben“ Wärme. Ich versuche, das an einem Beispiel ganz einfach zu erklären: Wenn jemand in seiner Dachgeschosswohnung im Hochsommer unter der Hitze stöhnt, hat er – ganz banal gesagt – zu viel Wärme in seinen vier Wänden. Physikalisch gesprochen muss ich ihm jetzt diese Hitzeenergie erst einmal wegnehmen, damit er weniger schwitzt. Und Energie kann ich ja nicht einfach vernichten, ich muss sie irgendwo hinstecken. Hätte er jetzt zum Beispiel ein Split Klimagerät, würde er die Energie nach draußen blasen. Dann schwitzt aber der Nachbar mehr. Fernkälte funktioniert anders: Wir entnehmen dafür eben auch das angesprochene Donaukanalwasser. Das hat heute (Hölzl blickt auf seinen Computer und öffnet ein Programm) – exakt 20,3 Grad. Davon entnehmen wir nun einen winzig kleinen Bruchteil beim Donaukanal in der Spittelau und erwärmen diesen kleinen Teil um maximal 10 Grad. Das erwärmte Wasser geht zurück in den Donaukanal. Dafür muss man aber wissen, dass die genehmigten Wassermengen zur Erwärmung so gering sind, dass keine Auswirkungen auf das städtische Mikroklima zu befürchten sind. Das mit Abwärme-Energie gekühlte Wasser fließt dann wiederum zu den Kunden.
Apropos Kunden: Wer sind denn derzeit die Fernkältekunden?
Die Nachfrage ist natürlich gerade in der Innenstadt besonders hoch. Hier wird es im Hochsommer oft besonders heiß und Rückkühlsysteme klassischer Kühlmöglichkeiten sind aufgrund des Denkmalschutzes oft gar nicht möglich. Einige Hotels und Büros entlang des Rings gehören zu unseren Fernkältekunden. Wir versorgen aber auch die BOKU und BMW Heiligenstadt mit Fernkälte. Und im Moment wird auch die Nachfrage der Hausverwaltungen immer größer. Da sind die immer wärmer werdenden Sommer natürlich ein Grund dafür.
Das heißt, Fernkälte könnte bald auch für Wohnungseigentümer und -mieter genauso eine Option wie Fernwärme werden?
Ja, wir arbeiten auf jeden Fall kontinuierlich am Ausbau unseres Kältenetzes. In den vergangenen Jahren hat unser Leitungsnetz hauptsächlich die Heiligenstädter Lände bzw. den Bereich entlang des Schottenrings sowie am Hauptbahnhof abgedeckt. Nun haben wir aber auch eine Versorgungsleitung Richtung Franz-Josef-Bahnhof errichtet. Im 9. Bezirk ist jetzt das erste Wohngebäude an das Fernkältenetz angeschlossen, so können hier auch erstmals Privatpersonen in ca. 80 neugebauten Wohnungen Fernkälte beziehen. Wir arbeiten daran, die Fernkälte-Leistung jährlich um etwa 10 bis 15 Prozent auszubauen und auch für mehr Privatpersonen zugänglich zu machen. Dafür werden bis 2024 etwa 65 Millionen Euro investiert. Aber schon jetzt haben unsere 16 Fernkältezentralen in Wien eine Gesamtleistung, die der Kühlleistung von 1,3 Millionen Kühlschränken entspricht!
Was macht die Fernkälte eigentlich so nachhaltig?
Vor allem unser Einsatz an hocheffizienten elektrischen Maschinen, die das Thema der Rückkühlung so nachhaltig wie möglich angehen. Wie vorhin angesprochen entsteht ja bei der Klimatisierung vor allem das Problem der Rückkühlung, also wie man die Energie an die Umgebung abgibt. Bei Split Klimageräten ist beispielsweise die Montage eine Herausforderung. Man neigt dazu, sie zu verstecken, wodurch die Geräte oft erstickt werden, was energietechnisch ein großes Problem ist. Diesbezüglich sind natürlich mobile Klimageräte noch bedenklicher: Der sogenannte Rüssel gibt die Wärme nach draußen ab, während gleichzeitig das Fenster offen ist – ein furchtbares Übel. Gerade was den elektrischen Wirkungsgrad angeht, liegen zwischen solchen Kühlsystemen und der Fernkälte Welten. Wir haben einen bis zu drei mal größeren Wirkungsgrad als ein Splitgerät und können durch die innovative Technik nicht nur effizienter sondern vor allem auch umweltfreundlicher Kälte erzeugen.
Fotos: © Wien Energie/FOTObyHOFER
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