Dieser Artikel wurde am 29. Mai 2014 veröffentlicht und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!Es sind immer die Narren, die den Fürsten, also den Regierenden, den Spiegel vorhalten, wozu diese und…
Dieser Artikel wurde am 29. Mai 2014 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Es sind immer die Narren, die den Fürsten, also den Regierenden, den Spiegel vorhalten, wozu diese und besonders das betroffene – in der Regel gequälte – Volk lachen. Herrscher und Bürger amüsieren sich gemeinsam über den Wahnsinn, den sie selbst veranstalten, also über sich selbst. Lachen ist eine Reaktion auf den Schrecken, den Schrecken der Wahrheit, die zu einem Witz geworden, plötzlich lachhaft, also irreal erscheint. Eigentlich müssten die Menschen wütend reagieren, oder zumindest aus der Erkenntnis der Wahrheit lernen und die nötigen Schlüsse ziehen. In der Regel passiert aber genau das nicht, oder vielleicht doch? Das Ergebnis der Europawahl gibt da zu denken.

 

 

Der Markt bestimmt die Politik – bisher

 

 

Im späten Mittelalter wurden Markthändler sofort und hart bestraft, wenn sie sich nicht an die Regeln hielten und zum Beispiel die Kunden betrogen. Die Regeln bestimmten die Bürger, also die Kunden (http://www.brandeins.de/archiv/2012/zweite-chance/die-macht-des-marktes.html). Das hat sich grundlegend geändert. Heute werden die Kunden für ihre Dummheit bestraft, die Regeln bestimmen die Händler. Je größer der Händler – heute nennt man diese Konzerne – desto größer seine Macht. Politiker, als Nachfolger der Feudalherren, sorgen dafür, dass es dem Händler, also den heutigen Konzernen gut geht, weil dieser dafür zu sorgen scheint, dass das Volk, also die Kunden zufrieden ist und daher wiederum den Politiker wählt. Das ist eine Folge der offensichtlichen Dummheit, über die sich dann wieder das Volk – und natürlich die Politiker – amüsieren können. Die Rolle der Politiker in diesem Spiel ist es, das Volk so zu täuschen, das es glaubt, auf das Geschehen Einfluss nehmen zu können. Sie müssen also möglichst gut lügen können. Historisch sind sie einfach die Nachfolger der Feudalherren, eigentlich also kriminelle Mafiosi, die ihr Volk permanent und ohne Skrupel betrügen.

Schaut man auf die übliche „Parteienlandschaft“ hat das Volk in Wahrheit gar keine Wahl, entscheidet sich letztlich immer für den besten Lügner. Heute, wie damals, steht hinter diesem derjenige, der die wirkliche Macht ausübt, also derjenige, der über Geld verfügt. Die Quelle dieses Geldes ist der Markt (http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-05/lobbyarbeit-deutschland-usa). Eine „Ethik“ kennt der Markt nicht, das Ziel ist ausschließlich der finanzielle Gewinn, die Vermehrung des Geldes, egal, mit welchen Mitteln (http://www.zeit.de/2013/21/wirtschaft-markt-moral-experiment/seite-2; http://wachstumimwandel.at/fruehstuecksgespraech-geplante-obsoleszenz-und-die-ohn-macht-des-marktes/; http://www.3sat.de/mediathek/index.php?mode=play&obj=31101).

 

Narren an der Macht vertreiben die Händler aus dem Tempel

 

 

Bei der diesjährigen Europawahl schaffte es in Deutschland der Satiriker Martin Sonneborn mit seiner „Partei“ in das europäische Parlament, 2010in Reykjavik  der Komiker Jon Gnarr mit seiner Partei aus Punkmusikern sogar in das Amt des Oberbürgermeisters – und ist damit in Island fast so mächtig, wie der Regierungschef. Beide „Narren“ traten mit derart skurrilen Programmen vor die Wähler, dass sie selbst es für ausgeschlossen hielten, überhaupt Stimmen zu bekommen. Gnarr hielt damals ein Ergebnis von 0,1% für einen Sieg. Er erzielte 34,7%, weit mehr als alle anderen Parteien. Nach vier Jahren Regierungszeit liegen die aktuellen Umfragen – vor der kommenden Wahl – über 38%. Sonneborn versprach die Einführung einer Faulenquote von 17% und ein Existenzminimum von 1 Million für jeden Bürger (was rechnerisch in Deutschland kein Problem wäre). Gnarr gewann die Wähler mit dem Versprechen von Gratishandtüchern im Schwimmbad, den Import von Juden, „weil die etwas von Wirtschaft verstehen“ oder ein Disneyland mit freiem Eintritt für Arbeitslose (http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/Mehr-Punk-weniger-Hoelle-/story/25977893; http://www.die-partei.de/regierungsprogramm/).

Das Ergebnis der Regierungszeit der Anarchisten in Islands Hauptstadt kann sich allerdings sehen lassen. Die Narren übernahmen eine insolvente Stadt in einem wirtschaftlich zerstörten Land und haben sie in vier Jahren radikal saniert. Zuerst vertrieben sie die korrupten Händler, die Lobbyisten, die Bänker, erhöhten die Steuern und agierten überhaupt frei von jeder Ideologie, taten einfach das was getan werden musste. Jon Gnarr erklärte bereits, dass er nun, nach vier Jahren – überaus erfolgreicher – Regierungszeit genug Spaß gehabt habe und nicht wieder kandidieren werde. Seine Mitstreiter jedoch wollen weiter machen, was die Bürger scheinbar auch wollen. In den Umfragen liegen die Anarchisten uneinholbar vorn. Das der oberste Repräsentant der Hauptstadt am Todestag seiner Mutter in deren Kleidern ins Parlament kam oder auch mal als Jedi-Ritter verkleidet auftrat hat ihm nicht geschadet, im Gegenteil. Er und seine Mitstreiter haben den konventionellen Politikern den Spiegel vorgehalten, sie als Betrüger entlarvt und die an der vorgefundenen Misere des Landes verantwortlichen Manager davongejagt, ganz im Stil der Wikinger. Sie haben alle Entscheidungen ohne jede Sachkompetenz mit gesundem Menschenverstand „aus dem Bauch“ heraus getroffen und Stadt und damit das Land gerettet. „Mehr Punk und weniger Hölle“ war das Programm und das Ergebnis.

 

 

Nur Anarchisten sind frei von Einflüssen der „Macht“

 

 

Island ist sicher nur ein „ganz kleines“ Land. Das Prinzip allerdings galt Millionen Jahre und ist auch heute noch umsetzbar. Eine gerade noch überschaubare Gemeinschaft kann sich perfekt organisieren, eine harmonische und damit nachhaltige Gesellschaft schaffen, wenn sie erst einmal die Macht des Marktes bricht, die alten Raubritter zum Teufel jagt. Sie kann sich ohne Geld sanieren und eine stabile Zukunft sichern. Offenbar haben jedenfalls die Isländer in den letzten vier Jahren mächtig Spaß gehabt und oft über ihren „gewählten Herrscher“ herzhaft gelacht. Der will die Macht nicht und geht wieder. Diese lag und liegt bei den Bürgern, die jetzt einfache Menschen in ihr Parlament schicken, unverblendet von angeblichem Fachwissen (was soll das auch sein? Fachidiotie?), grundehrlich „inkompetent“. Der Erfolg gibt ihnen Recht.

Was sollen die „anderen Europäer“ daraus lernen?