Wir brauchen eine neue, respektvolle Moderne.
Dieser Artikel wurde am 30. Mai 2016 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

300 Jahre Moderne sind komplett gescheitert, der Mensch jenseits „des Erhabenen“ angekommen, nicht mehr der erschreckend kleine Weltbestauner, sondern der kannibalische Weltzerstörer. Die Ausstellung „Reset Modernity!“ in Karlsruhe, für die wesentlich der Wissenssoziologe und Kultphilosoph Bruno Latours als Kurator zeichnet, stellt in überwältigend anschaulichen Bildern dar, wohin die Ideale der Aufklärung, Fortschritt, Freiheit, Emanzipation und Gleichheit diesen Planeten geführt haben. Mensch, Tier und Natur sind ruiniert, die Ressourcen verschlissen und der hierfür verantwortliche Westen hängt fest, ist in sich selbst gefangen.

 

 Für eine Zukunft der Achtsamkeit

 

Der respektlose, arrogante ja zynisch westliche Alleinvertretungsanspruch auf das Wissen mit den daraus folgenden Sachzwangroutinen ist heiß gelaufen und hat sich als größter Fehler des Anthropozäns entlarvt. Ausgehend von „philosophischen“ Gedankenspiralen, in denen mittels der Erforschung von Begriffen, also der Sprache als Kennzeichnungsmedium von Dingen, Gefühlen und eben Gedanken die Entfremdung von dem eigentlich zu erforschenden Gegenstand, des Seins (philosophisch ens) soweit getrieben wurde, dass die damit entstehende „Wissenschaft“ den Wahn entwickelte, einen Nullpunkt, eben den Startblock der Erkenntnis gefunden zu haben. Alles Erfahrungs- und Erinnerungswissen aus den Millionen Jahren der Geschichte wurde als mythischer Unsinn, als Metaphysik belächelt und rigoros ausgeschlossen. Mit ihren leider völlig untauglichen Werkzeugen marschierten die Forscher durch den Dschungel des Weltwissens und der Anschauungen und entdeckten „den Wald vor lauter Bäumen nicht“. Mit dieser arroganten Attitüde wurde in den letzten 300 Jahren auf eine Weise gemordet und zerstört, die zuvor nicht einmal vorstellbar war. Der aufgeklärte westliche Mensch achtete keine Würde, nicht einmal die eigene und muss dem unbeteiligten Betrachter wie ein völlig irrer Selbstmörder erscheinen. „Achtsamkeit, Respekt und Würde“ waren und sind die Lebensmaximen, die hunderttausende Jahre alte „Kulturen“ bewahren und die der aufgeklärte westliche Barbar als – unwissenschaftlichen – Unsinn verhöhnt. Wie ein trotziges Kind hat der Westen die Lebenserfahrung der Eltern, Großeltern – ja seiner Ahnen verhöhnt und wütend um sich geschlagen.

 

Das Globale neu verorten

 

Die „Welt“ lässt sich nur lokal erkennen. Leben in jedweder Form hat sich im Laufe der Zeit – die wir „Evolution“ nennen – an jedem Ort bestmöglich eingepasst und eine stabile Balance erhalten. An vielen Orten haben sogar bis heute, dem 21. Jahrhundert, Menschen – und andere Lebensformen – diese Balance – noch – erhalten können, oder wenigstens in ihrer Erinnerung bewahren. Selbst Legendensammlungen, wie Thora, Bibel und Koran sind voller bildlicher – also in Metaphern verkleideter Beschreibungen – dieses kollektiven Gedächtnisses. Man muss nur die trotzige Position des „wissenschaftlichen Denkens“ verlassen, um sie zu verstehen. Das können weder „Kreationisten“ – welche die Bibel wörtlich auslegen – noch Islamisten oder ultraorthodoxe Juden und schon gar nicht ihre aufgeklärten Gegner. Sie alle müssen zuerst den monotheistisch begründeten Allein-Verstehungsanspruch ablegen und sich sodann mit ihren indigenen Nachbarn friedlich ans Lagerfeuer setzen und  das Kriegsbeil begraben.

Ländergrenzen, die in Wahrheit nur die Einflusssphären des „freien Marktes“ definieren, werden verschwinden und Menschen allerorts wieder ihrer Mitwelt zuhören, diese achten, respektieren und die gleiche Würde zugestehen, die sie für sich selbst beanspruchen. 

 

Neustart der Moderne als wirkliche Fortsetzung der „Geschichte“

 

Ein logisch denkender Mensch kann nicht nachvollziehen, wie aus den Prämissen der Aufklärer, einer Vereinbarung, wie der amerikanischen Verfassung oder der Charta der Vereinten Nationen so ein völlig irrsinniges Geschehen erwachsen konnte und das immer noch kluge Menschen an diesem Weg festhalten. Psychologen nennen so ein Verhalten pathologisch. Dass aber eine Umkehr, eine Reparatur der Irrtümer ab sofort möglich ist, beweisen tausende Beispiele in aller Welt. Menschen außerhalb „des Westens“ haben sich längst wieder aus dessen Horrorwelt verabschiedet und in regionalen Gemeinschaften abgesondert. Sogar innerhalb des Irrsinns beweisen Kinder – sobald man ihnen die Gelegenheit lässt, dass sie ihre „Kreativität“ nicht verlieren und sich in der Gemeinschaft des Seins, also einschließlich „aller Verwandten“, der Mitwelt – derart sicher fühlen können, dass sie wieder Lebensmut fassen. In „Problemvierteln“, den modernen Gettos des Westens, wurde an Schulen das Fach „Kreativität“ eingeführt und die einstigen Problemschüler, die bereits in Drogenkriminalität oder gar die islamistische Terrorszene entglitten waren, haben mit einer anrührenden Begeisterung zurück in die Klassengemeinschaft, ja „das Lernen“, gefunden, allerdings auf völlig andere Art, als der eigentliche Lehrplan dies vorgesehen hatte. Der Westen muss nun einmal seinen Irrweg eingestehen, sein unsinniges Bildungssystem, das phantasielose Befehlsempfänger und Konsumenten züchtet, vergessen und einfach dem Leben wieder ein Chance geben.

 

http://www.zeit.de/2016/18/reset-modernity-karlsruhe-zkm-austellung-bruno-latour

http://zkm.de/event/2016/04/globale-reset-modernity

http://www.zeit.de/2014/33/bruno-latour-existenzweisen

http://www.spiegel.de/wirtschaft/rechtspopulisten-wettlauf-gegen-die-irren-zeitgeister-kolumne-a-1094375.html

http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-05/russland-wladimir-putin-oekonomie-staatshaushalt-haushaltsdefizit