Alexandra Gruber
Alexandra Gruber
Geschäftsführerin Alexandra Gruber im Interview.
Dieser Artikel wurde am 16. Dezember 2016 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Bis zu drei Tonnen Lebensmittel rettet die Wiener Tafel – Verein für sozialen Transfer – pro Tag vom Müll. Rund 400 freiwillige Helfer bringen die geretteten Lebensmittel vom Handel, Industrie und Landwirtschaft auf kürzestem Weg zu den Hilfseinrichtungen. Über die anfängliche und aktuelle Herausforderungen der Wiener Tafel spricht Geschäftsführerin Alexandra Gruber im Interview.

Wie kam es zur Gründung der Wiener Tafel?

Die Wiener Tafel wurde vor 17 Jahren von Studierenden der Sozialakademie gegründet, sie ist die älteste Tafelorganisation Österreichs. Inspiriert wurden die Studierenden durch Beispiele aus anderen Ländern, zum Beispiel durch die Hamburger Tafel. Lebensmittel zu retten und Armut waren ein sehr großes Thema. Gestartet ist die Organisation mit 5000€. Dazu kam viel privates Engagement, damit das überhaupt funktionieren konnte. Damals hat sich gezeigt, wie wichtig das Thema ist. Es wird so viel weggeschmissen. Der Bedarf ist zudem steigend.

Woher stammen die geretteten Lebensmittel?

Aus dem Handel und Großhandel, von einzelnen Supermarktfilialen. Zum Teil stammen sie auch aus der landwirtschaftlichen Produktion – vor allem Obst und Gemüse, auch vom Großgrünmarkt, wo wir künftig auch stärker präsent sein werden.

Wie verliefen die Anfänge der Tafel?

Am Anfang war die Tafel mit viel Pionierarbeit unterwegs, das Bewusstsein musste sich erst entwickeln. Das hat gedauert. Mittlerweile ist der Handel ein guter Partner der Tafel und der Sozialmärkte. Wir erleben oft, dass dem Filialleiter das Herz blutet, wenn er Gutes wegschmeißen musste. Inzwischen haben wir eine gute Kooperation mit vielen Filialen. Das ist eine Win-win-Situation, die sowohl zur Armutsbekämpfung beiträgt, als auch Umweltressourcen spart und zugleich spart sich der Handel die Entsorgung der Waren.

Wer profitiert von der Wiener Tafel?

Rund 18.000 Armutsbetroffene in über 112 Sozialeinrichtungen im Großraum Wien: Mutter-Kind-Häuser, Flüchtlingsherbergen, Obdachlosenhäuser, primär also Menschen, die keine eigene Wohnung haben und in Notquartieren untergebracht sind, und die zugleich von den Sozialeinrichtungen Hilfe angeboten bekommen. Das war von Anfang an Ziel der Tafel – an diejenigen heranzukommen, die Hilfe brauchen, und sie durch Sozialarbeiter zu unterstützen. Über die Lebensmittel und Kochworkshops ist der Zugang einfacher.

Warum ist Lebensmittelretten wichtig?

In die Produktion sind bereits Ressourcen hineingeflossen, in die Ernte vom Acker etwa. Eigentlich darf das nicht sein, dass wertvolle Lebensmittel weggeschmissen werden und es auf der anderen Seite viele Menschen gibt, die nicht wissen, wie sie sich gesund ernähren sollen und die gar keinen Zugang zu gesunden Lebensmitteln haben. Die Schere zwischen Überfluss und Bedürftigkeit geht immer weiter auf.

Wie stehen Sie zum Thema Nachhaltigkeit?

Jeder muss für sich reflektieren, wo er in seinem Umfeld Vorgehensweisen überdenken kann. Das beginnt schon beim Einkauf – den „bösen Handel“ gibt es nicht. Das eigene Einkaufsverhalten hat jeder selbst in der Hand.

Ist Lebensmittelretten im Laufe der Jahre schwieriger geworden?

Wir merken schon, dass der Handel stärker als früher auf seine Margen schaut und die Produkte später aussortiert. Das Potential ist aber sehr groß. Tausende Tonnen Lebensmittel können wir pro Jahr retten. Das ist aber nur ein Zehntel von dem, was weggeschmissen wird. Die Möglichkeiten gehen uns so schnell nicht aus! Wir müssen aber darauf achten, die Logistik möglichst effizient einzusetzen. Die Frage ist auch: Wie kann man Lebensmittel sinnvoll und ökologisch retten. Das klappt zum Beispiel über den Fußweg, über E-Bikes, indem Supermärkte und Sozialeinrichtungen direkt miteinander vernetzt werden.

Wie sieht das neue Tafel-Projekt am Großgrünmarkt aus?

Wir hatten schon länger das Ziel, uns auf diesem größten Warenumschlagplatz zu positionieren. Am Großgrünmarkt gibt es 200 Marktstände. Da wird viel weggeschmissen. Wenn eine Frucht faulig ist, wird oft gleich der ganze Karton entsorgt. Mit Anfang 2017 werden wir einen kleinen Marktstand beziehen, wo wir unterstützt durch Asylwerber Lebensmittel retten, sortieren und weitertransportieren, zum Teil aber auch direkt verkochen werden. Die soziale Inklusion kann man durch das gemeinsame Kochen und Essen viel stärker fördern.  

Was wird noch am Großgrünmarkt entstehen?

Wir bekommen unser erstes eigenes Lager. Bisher geschah alles „on the fly“. So werden wir aber noch mehr Möglichkeiten bekommen, gerettete Lebensmittel vorzuportionieren. Das ist ein großer Meilenstein in der Entwicklung der Wiener Tafel. Wir sind überzeugt, dass das ein gutes Beispiel ist, direkt am Ort des Geschehens präsent zu sein.

Wie kann man das Projekt unterstützen?

Seit dem 16. Oktober, dem Welternährungstag, gibt es Tafel-Bausteine, die Firmen und auch Private erwerben können. Die Bausteine unter dem Motto “Spendieren Sie uns ein Taferl” sind aus Obst- und Gemüsekistln gefertigt – man kann sie in der Firma oder zu Hause also auch ausstellen. Unsere Devise ist: Jeder Baustein zählt. Jeder Baustein unterstützt uns bei Ausgaben für Umbau, Miete, Equipment, auch eine Profi-Nirosta-Küche ist geplant.

Mehr über Ernährung

Diese Kategorie umfasst Wissenswertes über Gemüse, Obst, nachhaltige Supermärkte, schädliche Inhaltsstoffe, Bio-Produkte und vieles mehr. Mit folgenden Links gelangst du der Reihe nach zu mehr Artikel in diesem Themenbereich für Einsteiger bis zu Profis.

Quelle: Energieleben Redaktion
Foto: Wiener Tafel

B_bildleiste_experten_02