Ein entsetzter Schrei hallt aus der Küche zu mir herüber. Ich eile von meinem Schreibtisch herbei, darüber wundernd was meiner Mitbewohnerin zugestoßen sein könnte. Ziemlich verdattert steht K. vor unserem Kühlschrank, ihre Frühstücksvorbereitungen hat sie fürs Erste unterbrochen. Sie schaut mich mit großen Augen an und hält mir vorwurfsvoll einen Beutel voller Heuschrecken entgegen. Bevor ich mich erklären kann, kommt die nächste Mitbewohnerin herbeigeilt und fällt in die Schreckensrufe ein. Während sich meine WG noch an den Anblick von Heuschrecken, Heimchen und Mehlwürmern gewöhnen muss, erobern Insekten langsam aber stetig einen Platz auf unseren westlichen Tellern.
Insekten als Ekelfood – ein westliches Industriestaatenphänomen
80 Prozent der Weltbevölkerung essen bereits Insekten. Insekten gelten vieler Orts als Delikatesse und sind häufig wesentlich teurer, als herkömmliches Fleisch. Nur in Europa haben wir keine Beziehung zu Insekten als Nahrungsmittel. Bevor wir uns über einen potentiellen Geschmack gedanken machen, ereilt viele der Ekel. Bekennende Entomophagen (Personen, die Insekten essen), wird mit Verwunderung begegnet. Diese „eurozentrische Arroganz“ gilt es laut Hanni Rützler, eine bekannte Trendforscherin in der Nahrungsmittelindustrie, zu überwinden. Ihrer Meinung nach ist es für Europa nicht notwendig unsere derzeitigen Hauptfleischtiere durch den Mini-Livestock, wie Insekten teilweise auch bezeichnet werden, zu ersetzen. Es gilt viel mehr zu akzeptieren, dass andere Esskulturen nicht nur eine Berechtigung haben, sondern uns in diesem Thema sogar um Meilen vorraus sind. Vielleicht – so der Wunsch einiger Insektenenthusiastinnen – gelingt es uns als Gesellschaft die Vielzahl an Kulturen über den gemeinsamen Genuss von Insekten miteinander zu verbinden.
Ethische Aspekte:
Insekten sind anspruchslos, sie kommen mit einer 10 Mal geringeren Futtermenge aus, als herkömmliches tierisches Protein liefernde Rassen. Der natürliche Lebensraum der meisten für den europäischen Markt diskutierten Insekten ist realitv einfach zu simulieren. Hierdurch ergeben sich Tierhaltungssysteme, die ein relativ hohes Tierwohl versprechen. Laut Hanni Rützler handelt es sich beim Verspeisen von Insekten um eine besonders respektvolle Art an tierische Proteine zu gelangen. Da 90 bis 100 Prozent des Tieres aufgegessen werden gibt es kaum Abfälle, alle vom Lebewesen zur Verfügung gestellten Nährstoffe werden somit verzehrt. Ein Insekt befindet sich von dem was es empfinden kann irgendwo zwischen höheren Tieren und Pflanzen. Für strenge Veganer ist es somit keine Alternative, für Fleischesser, Personen mit einem hohen Proteinbedarf und VegetarierInnen aber häufig doch eine mögliche Alternative. Während wir bei der klassischen tierischen Produktion grausame Schlachthofbilder im Kopf haben, spiegelt auch hier der hauptsächlich praktizierte Tötungsprozess die Vorgänge in der Natur wieder. Als wechselwarme Tiere fallen Insekten ab einer gewissen Temperatur in einen tiefen Schlaf. In der Praxis werden sie auf minus 18 Grad heruntergekühlt. Nimmt man die Tiere nach 24 Stunden heraus, tauen sie vollständig wieder auf und sind quick lebendig. Sind Insekten niedrigen Temperaturen zu lange ausgesetzt gehen sie von einem Kälteschlaf in die Leblosigkeit über. Deswegen werden ausgereifte Insekten mindestens 48 Stunden bei minus 18 Grad eingefroren. Danach können sie verarbeitet werden.
Wurm oder Heuschrecke – was schmeckt besser?
Je größer das Insekt, desto mehr Eigengeschmack und Aromatik bringt es mit sich. Die doch eher kleinen Ameisen sollten trotzdem nicht unterschätzt werden, in der innovativen Spitzengastronomie nutzt man sie unter anderem als regionalen Zitrusfruchtersatz. Insekten für den Konsum vom Menschen gibt es vornehmlich in gefriergetrockneter und gefrorener Form. Das Tier kann im Ganzen, zerstoßen, pürriert oder gemahlen einer Speise hinzugefügt werden. Gefriergetrocknete Insekten können vor dem Verzehr rehydriert werden und eignen sich gut um in zermahlener Form einem Gericht beigegeben zu werden. Gefrorene Insekten brauchen etwas mehr Geschick in der Zubereitung, als gefriergetrocknete Insekten. Sie besitzen, nach meinen bisherigen Erfahrungen, allerdings ein ausgeprägteres Aroma. Für den europäischen Markt sind insbesondere Heuschrecke, Heimchen, Mehlwurm und teilweise der Buffalowurm dabei sich einen Namen zu machen.
Wie sieht die kulinarische Zukunft der Insekten in Europa aus?
In der EU ist zur Zeit nur in den Niederlanden und in Belgien der Verkauf von Insekten, für den menschlichen Verzehr und der Verkauf von Produkten in denen Insekten verarbeitet wurden, erlaubt. Die Ausfuhr in andere EU Länder ist verboten, beziehungsweise befindet man sich teilweise in einem Graubereich – Österreich wäre hierfür ein gutes Beispiel. 2018 wird es für die Europäische Union mit der Einführung des Novel Food Gesetzes zu Veränderungen und der teilweisen Legimatisierung in diesem Bereich kommen. Im Mai 2017 werden Insekten in der Schweiz legal. Die zweitgrößte Supermarktkette – Coop – startet dann mit einer Produktreihe, dabei wird es sich um primär verarbeitete Produkte wie „Mehlwurmpesto“ handeln.
Warten auf den Snap:
Zu großen Teilen setzt sich die europäische Bewegung aus jungen Menschen zusammen, die mit ihrem Handeln die Welt in Richtung Nachhaltigkeit und Ernährungsgerechtigkeit bringen wollen. Neben dem Wunsch nach einem neuen Ernährungssystem, geht es Ihnen großteils auch um eine neue Form der Zusammenarbeit und Unternehmenszielführung. Sie wünschen sich ein positives Miteinander in dem durch geschickte Synergien alle einen Vorteil erlangen. So tauschen sich die einzelnen Vereine und Startups aus Österreich und der Schweiz untereinander aus.
In der Geschichte unserer Esskultur gab es immer wieder Zutaten, die es erst durch geziehltes Marketing oder einen langjährigen Kennenlernprozess auf unsere Teller geschafft haben. Sowohl Hummer, Kartoffeln und Sushi konnten sich über die Jahre durchsetzen. Alle drei waren dabei so erfolgreich, dass wir ganz vergessen haben uns vor ihnen zu ekeln. Insekten werden uns in der Zukunft häufiger begegnen und das nicht nur im Garten.
Quellen und weiterer Lesestoff:
Erste Anlaufstelle in Österreich/Wien: http://www.speiseplan.wien/
Das neue Kochbuch zum Thema, samt Essays von ausgezeichneten Experten
Titelbild: Martin Stübler
Die Freischnauzeköchin ist zum Bloggen über ihre Freude an der Fotografie von Essen gekommen. Seit 2013 gibt es ihre vegetarischen Rezepte online und Tipps zum (nachhaltigen) Leben in Wien. Die in ihrem Studium der Agrarwissenschaften erworbenen Erkenntnisse und ihre Erfahrungen als urbane Gärtnerin teilt sie gerne mit ihrer Leserschaft. Ihr Augenmerk richtet sie hierbei auf zukunftsweisende und umweltfreundliche Lösungen.