Dass Nachhaltigkeit im Bereich der Fiaker-Tradition mehrere Ebenen kennt, weiß Profi Marco Pollandt (rechts), hier im Bild mit seinem Geschäftspartner Raimund Novotny. Fotocredit: © wien.ridingdinner.com
Dass Nachhaltigkeit im Bereich der Fiaker-Tradition mehrere Ebenen kennt, weiß Profi Marco Pollandt (rechts), hier im Bild mit seinem Geschäftspartner Raimund Novotny. Fotocredit: © wien.ridingdinner.com
Eigentlich wollte Marco Pollandt mit seinem Geschäftspartner schlicht ein neues Angebot für Touristen und Einheimische gestalten. Das hat er auch. Womit er dabei nicht gerechnet hat, war die große Begeisterung für Fiaker und Pferde, die damit bei ihm entstanden ist. Genauso wie das besondere Verständnis für den Nachhaltigkeitsansatz im Umgang mit denselben.
Dieser Artikel wurde am 2. April 2021 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Kennengelernt haben sich Fiaker-Profi Marco Pollandt und sein Geschäftspartner Raimund Novotny als Kollegen in der Luxusgastronomie. Profi in Punkto Pferde war Pollandt davor keiner. Seit 2017 bietet er gemeinsam mit Novotny die zur Dienstleistung gewordene Idee „Riding Dinner“ die an. Das Angebot verbinden viele Faktoren, die Menschen nach Wien führen: Essen, Trinken und Sightseeing in der Kutsche. „Aber tatsächlich hatten wir vor Beginn unseres Riding Dinners null Ahnung von der Fiakerei und noch viel weniger von den Pferden“, sagt Marco Pollandt heute. 

Wie die Begeisterung für Pferde im Allgemeinen und für ihren Schutz im Speziellen im Zuge einer Geschäftsidee gewachsen ist, wieso Fiakerei weitaus mehr als nur der Erhalt von Tradition ist und weshalb sich für ihn Tierschutz, Historie und Nachhaltigkeit jedenfalls verbinden lassen, erzählt uns der äußerst sympathische Wiener im Interview. 

Herr Pollandt, wir sind auf Sie aufmerksam geworden, als wir beobachtet haben, dass am Stephansplatz Menschen Sackerl mit altem Brot in eine Kiste gelegt haben, die dort neuerdings steht. Was steckt denn da dahinter? 

Marco Pollandt: „Seit ich mich beruflich mit den Pferden und dem Thema Tierwohl auseinandersetze, wächst das Bewusstsein für Nachhaltigkeit gefühlt jeden Tag ein Stückchen. Und da kam uns die Idee, das zu verwerten, was Menschen immer wieder wegwerfen: Gemüse, wie Karotten, oder auch Äpfel, die zwar noch gut sind, das aber nicht mehr ganz den optischen Ansprüchen genügt. Aber auch hartes Brot oder  Haferflocken, die nicht mehr gegessen werden. Das sind oft aber Nahrungsmittel, die in bestimmten Fällen, gut für unsere Pferde geeignet sind. Und viele Menschen bringen den Pferden auch gerne einfach etwas Gutes mit. So haben wir jetzt am Stephansplatz und am Michaelaplatz bei den Fiakern Kisten aufgestellt, damit die Leute wissen, dass sie gewisse Dinge nicht wegwerfen müssen, sondern nachhaltiger zum Einsatz bringen können.“

Was für eine schöne Idee: Was ist denn in diesen Kisten gerne gesehen und was eher nicht?

Marco Pollandt: „Die Grundsatzregel ist, dass alle Lebensmittel besonders geschätzt werden, die so unverarbeitet wie möglich sind. Viele Leute meinen es beispielsweise gut und bringen Zwiebelweckerl oder Nussbrot mit. Das können wir aber leider nicht verwenden. Es gibt genügend Dinge, die für Pferde nicht gut bekömmlich sind. Auch Pferde haben beispielsweise Allergien und dann tun wir uns schwer, etwas zu verfüttern, wo wir nicht genau wissen, was drinnen ist. Ideal ist also beispielsweise ein klassisches, nacktes Brot. Auch wenn man den Pferden davon nicht all zu viel verfüttern soll. Viel geeigneter sind Äpfel und Karotten. Wenn es dabei für den Menschen optisch nicht mehr ganz so genussvoll ist, ist das für das Pferd oft noch kein Thema. Also ein Apfel mit ein paar braunen Stellen ist kein Problem, aber eine oxidierte Karotte verfüttern wir natürlich auch nicht, weil da wesentlich mehr schlechte Nährstoffe als gute drin sind. Und natürlich hängt es auch von den Pferden selbst ab, worüber sie sich in der Kiste freuen. Wir haben Pferde, die sind zum Beispiel total verrückt nach Wassermelonen. Andere spucken die sofort aus.“

Bildunterschrift: Sowohl am Stephansplatz als auch am Michaelaplatz hat Marco Pollandt eigene Boxen aufgestellt, in denen Futter für die Pferde abgegeben werden kann. Um die Verwahrung und Verfütterung kümmern sich die Fiaker. Fotocredit: © wien.ridingdinner.com 
Sowohl am Stephansplatz als auch am Michaelaplatz hat Marco Pollandt eigene Boxen aufgestellt, in denen Futter für die Pferde abgegeben werden kann. Um die Verwahrung und Verfütterung kümmern sich die Fiaker. Fotocredit: © wien.ridingdinner.com

Apropos Pferde und Essen. Man beobachtet immer wieder, dass Menschen die Pferde, die grad auf ihren Standplätzen ruhen, füttern. Eine gute Idee?

Marco Pollandt: „Ohne den Fiaker zu fragen, bitten wir darum, das nicht zu tun. Es ist wirklich so, dass manche Menschen den Pferden etwas hinstrecken, was sie halt gerade in der Hand haben. Also zum Beispiele etwas Zuckerhaltiges wie Schokolade oder Mannerschnitten. Man muss da wirklich vorsichtig sein, denn die Pferde vertragen solche industriell verarbeiteten Sachen nicht. Das ist nicht wie beim Hausschwein. Das Pferd lebt seit Jahrtausenden mit dem Mensch gemeinsam und es hinterfragt nicht, ob das, was ihm angeboten wird, nun gut oder schlecht ist. Es weiß, dass der Mensch Futter und Wasser bringt, es vertraut darauf und isst dann eben auch Dinge, die es eigentlich nicht verträgt. Manche Leute bringen aber für Pferde wertvolle Snacks wie Karotten und Äpfel. Nur bitten wir auch da, immer den Kutscher zu fragen, ob und wie sie füttern sollen. Man soll einen Apfel beispielsweise dem Pferd nie als Ganzes hinhalten, denn es schlingt ihn womöglich runter und verschluckt sich im schlimmsten Fall daran. Außerdem gilt: Immer mit der flachen Hand füttern, damit das Pferd nicht versehentlich einen Finger für eine Karotte hält.“

Wenn Sie so erzählen, was den Pferden gut tut und was nicht, spürt man förmlich Ihre Begeisterung für die Tiere. Dabei ist diese noch relativ jung, richtig? 

Marco Pollandt: „Richtig. Als Raimund und ich vor ein paar Jahren die Idee des Riding Dinners geboren haben, hatten wir gar keine Idee von Pferden oder der Fiakerei. Darum brauchten wir auch einen Fiakerpartner, der sich unsere Idee erst einmal angehört hat. Bei unsere Suche danach fiel immer wieder der Name ,Fiaker Paul’. Das ist nicht nur der größte Fiaker-Betreiber in Österreich, sondern – was uns vor allem sehr wichtig war – ein Betreiber höchster Qualität. Aus der anfänglichen Idee, nur ein Dinner in der Kutsche mit Butlerservice und Sightseeing anzubieten, ist damit viel mehr geworden. Eigentlich beginnt die Geschichte erst damit, eine ganze und vor allem eine nachhaltige zu werden – abgesehen davon, dass das Fiakerfahren an sich eine absolut emissionsfreie Art der Fortbewegung ist.“

Nicht nur emissionsfrei, sondern auch von lukullischen Freuden begleitet, geht es mit dem Riding Dinner durch Wien. Fotocredit: © wien.ridingdinner.com
Nicht nur emissionsfrei, sondern auch von lukullischen Freuden begleitet, geht es mit dem Riding Dinner durch Wien. Fotocredit: © wien.ridingdinner.com

Inwiefern beginnt Ihre nachhaltige Geschichte in Punkto Kutschen und Pferden erst hier? 

Marco Pollandt: „Wir haben am Anfang beim Riding Dinner die Getränke und das Essen selbst im Fiaker serviert und dabei recht schnell festgestellt, dass viele Leute extreme Vorurteile gegen Fiaker an sich haben und wir wollten hier die Augen nicht verschließen, sondern uns sowohl mit den Vorwürfen als auch mit deren Einordnung in einen realistischen Kontext auseinandersetzen. Wir haben immer wieder bemerkt, dass auch die Kutscher selbst sehr bedrückt von den Klischees und Vorurteilen sind. Vor allem die oberflächlichste, aber leider auch klassische Anschuldigung, Tierquäler zu sein, verletzt viele Fiakerfahrer wirklich tief, auch wenn sie das nie zugeben würden. Denn wenn man sich ein bisschen mit Pferden beschäftig, kann man ja irrsinnig einfach feststellen, ob ein Pferd Freude daran hat, etwas zu tun, oder eben nicht. Das zeigt sich auch am Leitsatz vom Fiaker Paul, der hunderte Jahre alt ist, und sinngemäß etwa so von einem französisch-königlichen Reit- und Pferdetrainer aus dem 16. Jhdt kommt: Ein Pferd mit Angst und Drill auszubilden, ist nicht der richtige Weg. Weil ein solches Pferd wird in einer unvorhergesehenen Situation auch unvorhergesehen reagieren. Ein Pferd, das mit Vertrauen und Liebe trainiert wird, wird hingegen den Kutscher fragen, was es in einer unvorhergesehenen Situation tun soll.“ 

Das heißt also, Vertrauen und ein wertschätzender Umgang sind die Grundlage für die Arbeit mit Pferden?

Marco Pollandt: „Genau. Und ein solches Vertrauen baut sich eben nicht durch Drill oder Ähnliches auf, sondern durch sehr viel Gefühl, Umsichtigkeit, Geduld und ideale Lebens- sowie Arbeitsbedingungen für das Pferd. Genau deshalb trifft der Vorwurf der Tierquälerei die Fiaker oft so tief und persönlich. Da wollten wir für Aufklärung sorgen. Häufig geht es ja um die Frage, wie das mit dem Asphalt für die Fiakerpferde ist. Da heißt es ja immer wieder, das sei so schlecht für die Gelenke der Tiere, obwohl das längst an verschiedenen Universitäten wissenschaftlich widerlegt ist. Wie bei allem muss man auch hier die Dinge differenzierter betrachten. Die Gelenke von Pferden auf einer Rennbahn oder auch von Springpferden sind einer viel höheren Belastung ausgesetzt als bei einem Fiakerpferd. Die sind entweder viel schneller unterwegs oder es kommt durch das Springen viel mehr Gewicht auf die Beine. Ist der Boden unebener als Asphalt, muss das Pferd außerdem viel mehr Gelenkkraft einsetzen, um die Beine zu stabilisieren.“ 

Was die Pferde brauchen, wissen die Riding Dinner-Gründer seit ihrer eigenen Kutscher-Ausbildung noch genauer. Fotocredit: © wien.ridingdinner.com
Was die Pferde brauchen, wissen die Riding Dinner-Gründer seit ihrer eigenen Kutscher-Ausbildung noch genauer. Fotocredit: © wien.ridingdinner.com

Mittlerweile haben Sie also wirklich ein breites Wissen rund um die Pferde und ihre Arbeit als Kutschentiere aufgebaut. Ist das wichtig für Ihre Arbeit?

Marco Pollandt: „Ich finde ja, denn wir waren so intensiv mit so vielen Vorurteilen konfrontiert, dass wir selbst begonnen haben, das bewusst und aktiv zu hinterfragen. Man denkt sich irgendwann, dass da doch was dran sein muss, wenn die Leute so vehement Vorwürfe machen. Also wollten wir uns das einerseits selbst genauer ansehen und andererseits wollten wir den Menschen Zugang zu Informationen geben. Es geht uns auch nicht darum, eine Tradition um jeden Preis zu rechtfertigen, sondern wir wollen Menschen die Möglichkeit geben, einen Blick in diese Welt zu werfen und Bezug zu den Pferden aufzubauen.“

Wie haben Sie dieses Ziel verfolgt?

Marco Pollandt: „Da war auch der Zufall ein bisschen mit daran beteiligt, weil beim Fiaker Paul gerade neue Leute ausgebildet wurden. Er hat gemeint, wir sollen selbst die Prüfung zum Kutscher absolvieren. Um selbst eine Kutsche lenken zu dürfen, braucht man wirklich Ahnung. Und das haben wir dann auch gemacht. Es war total schön, dann Stück für Stück selbst festzustellen, wie viel da eigentlich hinter der Fiakerei steckt. Es ist ja nicht nur, dass wir uns auf eine Kutsche setzen und damit durch die Gegend fahren. Es ist auch spannend zu sehen, mit welchen Kosten die gesamte Apparatur, die es dafür braucht, verbunden ist. Und wie oben erwähnt, muss man ja vor allem auch Vertrauen zu dem Pferd aufbauen. Diese gesamten Eindrücke und Erkenntnisse wollten wir teilen. Wir wollten den Leuten gerne einen Einblick in die Welt der Fiaker geben. Darum haben wir eigens eine Stalltour konzipiert, bei der man unsere Fiakerpferde in unserem den höchsten Standards entsprechenden Stall besuchen kann. Wir wollen dabei niemanden missionieren, aber wir finden, es lohnt sich, die tatsächlichen Gegebenheiten einmal genauer anzusehen. Wenn man dann immer noch auf die Fiakerei schimpfen will, dann soll das gerne gemacht werden, aber davor wollen wir zumindest eine andere Sichtweise ermöglichen, damit sich die Menschen ein echtes Bild machen und damit eine informierte Entscheidung treffen können.“ 

Habt ihr damit auch schon einmal für eine nachhaltig veränderte Sichtweise zum Thema gesorgt?

Marco Pollandt: „Ich glaube, für viele wird bei unseren Touren das Thema Nachhaltigkeit auf eine neue Weise greifbar: Wir sehen das Wort ja in viele Richtungen interpretiert, aber wenn man Nachhaltigkeit nicht nur auf die Pferdekutsche runter bricht oder darauf, dass man bei uns Pferdeäpfel als super Dünger bekommen kann, sondern sich auch die Beziehung zwischen Mensch und Pferd ansieht, wird deutlich, dass es sich hier um eine sehr nachhaltige Beziehung handelt. Sie besteht immerhin seit über 6000 Jahren und lebt ausschließlich von dem Vertrauen der Pferde in die Menschen, an dem diese nachhaltig arbeiten müssen. Was wir auch immer wieder erleben ist, dass alle Menschen, die bei unserer Stalltour teilnehmen, verblüfft sind, wie offen und neugierig die Pferde sind. Wenn die Pferde ganz kontaktfreudig ihren Kopf zu den Leuten strecken, hören wir oft, dass die Menschen sich wundern, dass die Pferde gar nicht traumatisiert sind, wie Fiakerpferde angeblich sein sollen.“

Wie kommt es zu diesem Traumatisierungsgedanken in der Bevölkerung?

Marco Pollandt: „Ich glaube, das liegt auch viel an der Unwissenheit im Bezug auf Pferde. Die schlafen ja beispielsweise im Stehen und das weiß auch nicht jeder. Der Laie erkennt also oft nicht, wenn ein Pferd schläft. Die Leute gehen dann zu den Kutschen in der Stadt hin, streicheln das schlafende Pferd, das erschreckt sich natürlich und dann sagt dieselbe Person: ,Oh mein Gott, das ist ja total paralysiert! Das arme Pferd!’ Da kann man schon einmal fragen, wie so jemand drein schaut, wenn er selbst aus dem Schlaf gerissen wird. Viele Menschen achten leider auch nicht auf die Signale der Pferde und streicheln sie beispielsweise noch weiter, obwohl diese schon längst anzeigen, dass sie das nicht möchten. Ich sage daher immer: Egal ob es ums Füttern oder ums Streicheln geht – bitte immer den Kutscher vorher fragen, ob das heute eine gute Idee ist. Der weiß nämlich ganz genau, wie es seinem Pferd heute geht. Weil bei Pferden ist es wie mit Menschen: Auch die haben mal einen schlechteren Tag als sonst und wollen dann auch nicht mit jedem in Kontakt kommen.“

Mehr zu den Riding Dinner-Angeboten und Stallführungen erfährst du hier:

https://wien.ridingdinner.com/default.htm#about 

Fotos: © wien.ridingdinner.com 


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