Wie gefährlich sind eigentlich Umweltchemikalien und wie beeinflussen sie die Gesundheit des Menschen? Mit diesen Fragen hat sich die Innsbrucker Pharmazeutin Daniela Schuster beschäftigt und entwickelt in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF ein computerbasiertes “Frühwarnsystem” für gefährliche Chemikalien.
Wir haben sie dazu näher befragt.
Was darf man sich unter einem computerbasierten Frühwarnsystem für Umweltchemikalien vorstellen?
Das von uns entwickelte Frühwarnsystem schätzt biologische Wirkungen durch Umweltchemikalien mit Hilfe von 3D-Computermodellen ab. Das Prinzip hinter den Berechnungen ist folgendes: Wenn kleine Moleküle wie Arzneistoffe an ihr Zielprotein im Körper binden, lösen sie einen bestimmten Effekt dadurch aus.
Für eine gute Bindung müssen Arzneistoff und Zielprotein wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen. Das Computermodell ist eine abstrakte Darstellung des Schlüssels anhand seiner Größe, Form und physikalisch-chemischen Eigenschaften, ein Schlüsselabdruck sozusagen. Andere Moleküle wie z.B. Umweltchemikalien können nun auch die biologischen Effekte auslösen, wenn sie in das gleiche Schloss bzw. in den Schlüsselabdruck passen.
Unsere Simulationen können eine beliebige (Umwelt-)Chemikalie in solche Schlüsselabdrücke legen und berechnen, ob bzw. wie gut sie zusammenpassen. Als Antwort bekommt der Forscher dann eine Liste möglicher Wirkungen der Chemikalie, z.B. “passt in das Modell des Östrogenrezeptors” oder “kann über Enzymhemmung die Testosteronbildung verringern”. Viele der untersuchten Umweltchemikalien lösen keinen solchen “Alarm” aus.
Diejenigen, für die jedoch passende Zielproteine vorhergesagt werden, werden in einem weiteren Schritt im Labor in vitro auf die tatsächliche biologische Aktivität hin untersucht. Auf diese Weise kann man aus einer großen Anzahl von Umweltchemikalien diejenigen identifizieren, die am ehesten unerwünschte Wirkungen auf den Körper haben und diese dann gezielt mit aufwändigeren Tests untersuchen.
Wo kann man es anwenden?
1. In der Auffindung potentiell gesundheitsschädlicher Chemikalien: Derzeit gibt es bereits für alle Chemikalien Sicherheitsdatenblätter mit Informationen zu den Eigenschaften und der Toxizität von den jeweiligen Produkten. Wenn es sich bei der Toxizität jedoch nicht um eine akute Toxizität in Form von Verätzungen oder Vergiftungen handelt, wird die Datenlage in den Datenblättern sehr dünn.
Viele Angaben zur Toxizität stammen aus Tierversuchen, deren Daten nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar sind. Zusätzlich sind kaum Informationen zur Langzeittoxizität verfügbar, weil diese Studien sehr aufwändig und teuer und bisher auch nicht vorgeschrieben sind.
Wenn also eine Chemikalie, der man lange ausgesetzt ist (z.B. weil sie sich in einer Hautcreme befindet), mit der Zeit Bluthochdruck oder Fettleibigkeit begünstigen, ist das aus den derzeit erforderlichen Studien gar nicht ersichtlich. Aus der Unmenge an derzeit verwendeten chemischen Produkten muss man aber dringend solche identifizieren, die solche und auch andere Effekte haben können, um mit diesen dann spezielle Tests durchzuführen. Unsere Computersimulationen können nun die “verdächtigsten” Umweltchemikalien identifizieren und für die Austestungen priorisieren.
2. In der Identifizierung unbedenklicher Alternativen: Chemie ist Teil unseres Alltages und viele Produkte wären ohne die entsprechenden Chemikalien nicht verfügbar. Wir können also nicht gänzlich auf die Chemikalien in unserer Umwelt verzichten. Weiters kann man auch nicht auf “natürliche” Substanzen zurückgreifen, weil auch diese zahlreiche (z.T. unerwünschte) biologische Effekte haben können. Was also tun? Chemikalien werden den Produkten des Alltags zu bestimmten Zwecken beigemengt. Z.B. hat man in Sonnencremes chemische UV-Blocker zugesetzt, um den Sonnenschutz zu verbessern.
Wir haben vor einiger Zeit herausgefunden, dass manche dieser chemischen UV-Blocker die Testosteronbildung verringern. Wir haben aber im Zuge der Studie auch zahlreiche UV-Blocker untersucht, die diesen Effekt nicht hatten. Produzenten von Sonnencreme hätten nun also die Möglichkeit, den UV-Blocker mit der unerwünschten Wirkung auf die Testosteronbildung durch andere, sichere Alternativen auszutauschen. Die Funktionalität des Produktes bliebe erhalten, aber auch die Gesundheit der Menschen.
3. In der Entwicklung neuer Chemikalien: Nachdem wir für unsere Berechnungen nur eine 2D-Struktur der Chemikalie benötigen, können wir sogar Effekte von Chemikalien berechnen, die noch gar nicht vorhanden sind. In der Entwicklung neuer Chemikalien könnte dieses Frühwarnsystem auf problematische Strukturen hinweisen und so von vornherein biologische Wirkungen derselben aufzeigen. Die Forscher könnten dann die neue Chemikalie so modifizieren, dass sie den biologischen Effekt nicht mehr auslösen dürfte und dadurch sicherere Chemikalien entwickeln.
Wie wird es mit den Forschungen konkret weitergehen und wann wird man dieses Frühwarnsystem anwenden können?
Für jede biologische Wirkung müssen wir eigene Modelle erstellen, was derzeit die meiste Entwicklungsarbeit ist. Für einige Effekte kann das System schon verwendet werden. Wir haben z.B. hervorragende Modelle für ein östrogen-abbauendes Enzym. Nun bauen wir Schritt für Schritt unsere Modelle aus.
Wir sind derzeit bei der Hormonsynthese, möchten aber auch andere Bereiche wie Hormonwirkungen selbst und häufige Wirkungen aus dem Herz-Kreislaufsystem (Herzrhythmusstörungen) aufnehmen. Dazu werden wir um Fördergelder ansuchen.
Wird damit die Gesundheit von Menschen verbessert werden können?
Ich bin überzeugt davon, dass wir Menschen in unserer Gesundheit von diesem und ähnlichen Projekten sehr profitieren werden. Längst sind nicht alle Effekte von (Umwelt-)Chemikalien auf den menschlichen Körper gut untersucht. Langzeitstudien sind selten.
Auch wissen wir nicht, wie sich Chemikalien in Kombination auswirken. Mit unserem Projekt tragen wir dazu bei, dass potentiell gesundheitsschädliche Chemikalien entlarvt werden, damit man diese dann näher und gezielt auf ihre Auswirkungen hin untersucht. Wenn die Industrie auf die Ergebnisse unserer Studien eingeht oder idealerweise mit uns zusammen Alternativen zu gesundheitsschädlichen Chemikalien sucht, kann das für unsere Gesundheit nur vorteilhaft sein.
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Quellen:
Text: Interview und Uni Innsbruck
Foto: Andreas Friedle