Bürger müssen direkter an Entscheidungen mitwirken können.
Dieser Artikel wurde am 16. Dezember 2015 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Energiewende, Flüchtlingsproblematik, Wohnungsnot, Sozial- und Gesundheitsfürsorge das sind nur einige der Probleme, die in den nationalen Parlamenten oder von der Europäischen Union behandelt werden, mit Beschlüssen zu den „erforderlichen Maßnahmen“. Doch die Umsetzung landet bei den Menschen vor Ort, die global zu 52% und in Europa zu 80% in den Städten lebend. Nationale Grenzen sind schon lange nicht mehr interessant und „Nationen“ handeln ohnehin nach völlig anderen Interessen, als denen ihrer Bürger. Benjamin Barber, Ex-Berater von Präsident Clinton hat deshalb das internationale Bürgermeisterparlament ins Leben gerufen, das im kommenden Jahr zum ersten Mal tagen soll.

Nationalstaaten waren nie für die Bürger da, schon gar nicht für eine lebenswerte Zukunft

Seit 400 Jahren sorgen Nationalstaaten weltweit für Kriege, Mitweltzerstörung und alle sonstigen Probleme dieses Planeten, als Vertreter der jeweils „mächtigen“ Interessengruppen, früher des Adels und seit dem 19. Jahrhundert der Konzerne und Banken. In Demokratien sind diese durch Parteien vertreten. Größere Einheiten, wie die Europäische Union sind keine Union der Bürger, sondern einzig eine Wirtschafts- und Finanzunion, die sich um den Euro sorgt, aber nicht um Europäer. Dabei sollen Staaten, z.B. nach dem Philosophen Thomas Hobbes, „das Leben, die Freiheit und den Besitz seiner Bürger sichern“. Genau das haben diese aber nie getan, obwohl sie heute eigentlich von den Bürgern möglichst direkt gewählt, genau das tun sollen. Kriege – um wirtschaftliche Interessen – sind schon gar nicht im Interesse der Bürger.
Lokale Parlamente, wie Landtage und Stadtparlamente jedoch sind direkte Vertretungen der Bürger und alle gewählten Vertreter persönlich bekannt. Alle alltäglichen und zukünftigen Sorgen und Probleme der Menschen kommen hier direkt – und oft auch mit thematischen Bürgerbeteiligungen wie zu dem Netzrückkauf in Berlin oder der Olympiabewerbung in Hamburg – auf den Tisch. Die Energiewende, Probleme des Verkehrs, der Bildung und natürlich die aktuelle Problematik der Flüchtlingsaufnahme und deren Integration am Ort müssen hier geschultert werden. Die entsprechenden Entscheidungen dazu werden ganz woanders getroffen oder eben vertagt, gerne ignoriert oder unter absurden Bedingungen gegen den „Willen der Menschen“ beschlossen.

Zurück in die – nunmehr unbedingt nachhaltige – Zukunft – am Ort

Benjamin Barber, von haus aus Politologe und Philosoph, kennt die Probleme der Stadt – er lebt übrigens in der ehemaligen Wohnung der Philosophin Hannah Arendt – und engagiert sich seit Jahren für eine wirklich nachhaltige Zukunft, die eben nur von den Menschen am Ort gestaltet und gelebt werden kann. Er hat erfahren, wie sehr die großen Staaten von Interessengruppen regiert werden – eher in Mafiamanier und allein von den großen Finanzverwaltern gesteuert, als von Interessen für Menschen, unabhängig von Herkunft und Kultur.
Städte sind schon seit Jahrhunderten „multikulti“, Stätten der Bildung und Kultur, der großen Häfen und natürlich, weil in der überwiegenden Mehrheit „im Kontakt mit Wasser“ vom Klimawandel direkt betroffen. Städte können globale Probleme im direkten Austausch völlig anders und eben direkter angehen, weniger in Konkurrenz, wie die Nationalstaaten, sondern eher in Partnerschaft, im Interesse der Bürger. Städte müssen sich um ihre Versorgung aus dem Umland kümmern, das möglichst intakt sein sollte. Die Versorgung mit Nahrung, Energie und sauberem Wasser muss möglichst reibungslos funktionieren und auf nachhaltige Weise. Saubere Luft ist ein existenzielles Problem, wie aktuell in Peking zu beobachten und kann nur am Ort und zusammen mit der lokalen Wirtschaft geregelt werden. Ein funktionierender Nahverkehr – auch auf möglichst schadstofffreie Weise – ist im virulenten Interesse der Menschen am Ort. All das kann viel besser an jedem Ort individuell organisiert werden und nicht fernab, in Brüssel, Washington oder an sonst einem Sitz der nationalen Regierung. Eine ungesunde Konkurrenz, wie sie manchmal – im Interesse großer Konzerne – auf staatlichen Ebenen initiiert wird, ist niemals im Interesse der Städte selbst, jede hat ihr eigenes Profil und ihre spezifischen Interessen, die sie besser im Dialog mit den anderen Städten vertreten kann. Man muss sich nur vorstellen, welche finanziellen Mittel den Städten zur Verfügung stünden, gäbe es den Nationalstaat nicht mehr.
„Die Politik der Nationalstaaten ist ein Nullsummenspiel: Gewinnt der eine, verliert der andere. Berlin und Warschau, Moskau und Kiew hingegen können beide gedeihen. Sie handeln und kommunizieren miteinander, ohne in direkter Konkurrenz zu stehen. Das grundlegende Verhandlungsinstrument des Nationalstaats hingegen war immer schon Krieg. Darum planen Staaten ja auch zwanzig bis vierzig Prozent ihres Haushalts für Verteidigung ein. Städte hingegen kennen kein Wettrüsten. Wenn sich zwei Bürgermeister treffen, planen sie gemeinsame Projekte, besprechen ähnliche Probleme und arbeiten gemeinsam an Lösungen“. Benjamin Barber muss es wissen, er saß einige Jahre im Oval Office, der Schaltzentrale der USA.
Literatur: Benjamin R. Barber: If Mayors ruled the World; Yale University Press, 2013
Oder: Benjamin R. Barber: Coca Cola und Heiliger Krieg; Scherz 2001 – wie Kapitalismus und Terrorismus sich gegenseitig bedingen

https://www.ted.com/talks/benjamin_barber_why_mayors_should_rule_the_world/transcript?language=de
http://www.wdr5.de/sendungen/tiefenblick/die-stadt-und-der-aufstand100.html