Österreich grenzt an die Schweiz sowie an China. Zumindest auf dem Gelände der diesjährigen „Exposition Universelle Internationale, Exposition Mondiale“ – besser bekannt unter „Expo“. Bei der Weltausstellung werden seit 1851 die größten technischen und kunsthandwerklichen Leistungen der Welt ausgestellt. Österreich war übrigens der erste Gastgeber im deutschsprachigen Raum: Etwa 53.000 Aussteller aus über 30 Ländern stellten 1873 auf dem Gelände des Wiener Praters aus, der in den Monaten der Weltausstellung von über sieben Millionen Menschen besucht wurde. Errungenschaften wie die Glühlampe oder architektonische Meisterwerke wie der Eiffelturm wurden auf der Weltausstellung präsentiert.
Da kann man schon ein bisserl stolz sein, wenn das eigene architektonische Projekt Österreich bei der kommenden Expo repräsentiert. Und doch zeigt sich Clemens Russ, Mitarbeiter des Architekturbüros „querkraft“ in Wien und Projekteiter des Österreichischen Beitrags für die Expo 2020 in Dubai, vor allem eines: bescheiden. „Der Österreich Pavillon ist eine Teamleistung von all den Akteuren des querkraft-Teams und unseren Partnern“, betont der gebürtige Salzburger, der sein Architekturstudium an der TU in Wien absolviert hat.
Die diesjährige Expo steht unter dem Motto „Connecting Minds, Creating the Future“ und fokussiert auf drei Kategorien: Nachhaltigkeit, Mobilität und Chancen. Darauf, Nachhaltigkeit als Chance zu begreifen, hat sich Russ mit seinem Team spezialisiert – und damit den Generalplanerwettbewerb für den Österreich-Beitrag zur diesjährigen Weltausstellung gewonnen. Die erste übrigens, die in einem arabischen Land stattfindet. Oder besser gesagt: stattfinden würde. Denn aufgrund der Covid-Krise wird Dubai erst im Herbst 2021 tatsächlicher Gastgeber der „Expo 2020“ sein.
Sind Sie sehr enttäuscht, dass die Expo nun nicht wie geplant kommenden Herbst stattfindet?
Clemens Russ: „Nein, das kann man so nicht sagen. Vor allem, weil die Beiträge bereits jetzt aufgebaut werden. Das heißt, der Pavillon steht länger, als es geplant war. Und das finde ich im Sinne der Nutzung und der Nachhaltigkeit durchaus einen schönen Gedanken.“
Nachhaltigkeit – das ist ja die Kategorie, auf die der Österreich Beitrag seinen Fokus gelegt hat. Inwiefern hat es mit Nachhaltigkeit zu tun, wie lange der Beitrag steht?
Clemens Russ: „Das stimmt, obwohl wir mit unserem Konzept durchaus auch gut im „opportunity“ – also Chancen – Bereich aufgehoben sind. Wir verstehen den maßvollen Umgang mit unseren Ressourcen als Chance. Aber zwei Punkte waren uns dann eben so wichtig, dass die Nachhaltigkeit immer weiter in den Vordergrund gerückt ist. Zum Einen war das das Klima-Engineering, zum Anderen die Dauer, für die ein Expo-Beitrag geplant ist. Im Normalfall steht der Pavillon ja nur für die wenigen Monate der Ausstellung und da haben wir uns gesagt, dass für uns die Nachnutzung des Gebäudes im Vordergrund stehen soll. Davor war da noch der Gedanke, nachwachsende Rohstoffe wie etwa Holz als Baumaterial einzusetzen. Auch Stampflehm war im Gespräch – ein traditionell historisches Baumaterial aus der Region.
Aber für Holz und Stampflehm gibt es vor Ort keine Normen, mit denen gearbeitet hätte werden können und Holz hätte man von Österreich um die halbe Welt nach Dubai schicken müssen. Nur um es dann dort nach kurzer Zeit wegzuschmeißen, da man konstruktiven Holzbau nicht so einfach wiederverwenden kann. Da haben wir uns gesagt, bevor wir wie andere Pavillons vorgeben, aus Holz zu sein, obwohl es sich dann doch nur um eine Holzverkleidung über Stahl-Kulissenbau handelt, agieren wir gleich anders: Wir setzen bewusst und ehrlich auf Beton als Baumaterial, der auch in Punkto Bauspeichermasse sowie Brandschutz großartig performt und der auch die Nachnutzung bedeutend realistischer macht. Durch die Art und Weise, wie wir den Pavillon aber konstruiert haben, konnten wir nicht nur die Menge an benötigtem Beton drastisch reduzieren, sondern auch eine einfache Wiedernutzung ermöglichen. Denn uns war wichtig, uns verantwortungsvoll um die Nachnutzung zu kümmern. Wir wollten die Lebensdauer schlicht verlängern. Und genau deshalb freut es uns, dass der Pavillon nun noch ein Jahr länger als erwartet steht.“
Und danach?
Clemens Russ: „Genau darüber haben wir uns eben von vornherein Gedanken gemacht, denn die nachhaltige Stärke eines Gebäudes liegt in der langfristigen Nutzung und damit in der strukturellen Nachhaltigkeit. Schaut man sich etwa die Gründerzeitbauten an, finden wir hier ein perfektes Beispiel für nachhaltige Gebäudenutzung. Die Häuser sind nicht nur prunkvoll, sondern können sich auch auf sich stetig ändernde Anforderungen anpassen: Von der Wohnung über die Werkstatt bis hin zu Handelsgeschäften sind Gründerzeitbauten vielseitig einsetzbar. Und genau das macht einen wichtigen Teil der achitektonischen Nachhaltigkeit in meinem Augen aus. Es geht also nicht ausschließlich darum, so perfekt wie möglich zu dämmen oder das ressourcenschonendste Material beim Bau zu verwenden, sondern man muss sich immer auch die Lebensdauer im Bezug ansehen.
Ein Gebäude, das ich über Jahrzehnte nutzen und anpassen kann, hat einen anderen Nachhaltigkeitswert als eines, das nach zehn Jahren oder nur einem halben Jahr verschwinden soll, da es zu maßgeschneidert für den Moment gebaut wurde. Da muss man auch ein genaues Auge auf unsere Wegwerfgesellschaft haben, von der das Bauwesen nicht zur Gänze ausgenommen ist. Genau deshalb haben wir die Kegel des Pavillons für die Expo wie eine Art Puzzle konzipiert, in dem die Kegel passend aneinander gereiht werden, aber auch eigenständig funktionieren können und damit größere Wiederverwendungschancen aufweisen. Derzeit sind wir beispielsweise mit der German University of Technology (die mit der RWTH Aachen zusammen gegründet wurde) im Oman im Gespräch, die sich für die Nachnutzung unseres Pavillons stark interessiert.“
Sie haben gerade die Kegelform der einzelnen Gebäudeteile angesprochen. Was hat es denn mit dieser Form auf sich und inwieweit spielt sie in das Nachhaltigkeitsthema mit rein?
Clemens Russ: „Die Kegelform ist Teil unseres Klimakonzepts, das an sich kein neues – sondern eigentlich ein altes, sprich ursprüngliches – ist. Gerade im arabischen Raum, wo es oft enorm heiß wird im Sommer, hat man früher beim Bau von Gebäuden auf Windtürme gesetzt, die eine Zirkulation der Luft ermöglicht haben, mit der sich die Temperatur für den Menschen kühler anfühlt. Im Prinzip geht es bei der Kühlung ja nicht nur um die tatsächliche Raumtemperatur, auf die ein Raum runtergekühlt werden kann, sondern vor allem um die gefühlte Temperatur. Gemeinsam mit dem Ingenieurbüro P. Jung haben wir hier ein Kühlkonzept erstellt, für das alle Gegebenheiten penibel bewertet wurden. Die Masterminds dahinter haben also Wetterdatensätze von Jahrzehnten ausgewertet, Extremwerte berücksichtigt und historische Lokalkonzepte mit österreichischem Klima-Know-how verbunden, so dass wir aktuell mit 70 Prozent weniger Energie im Vergleich zu anderen Pavillons auskommen.“
Wie ist denn diese Einsparung an Energie möglich?
Clemens Russ: „Das gelingt durch den maßvollen Einsatz von konventionellen Kühlsystemen, die gerade in Dubai insgesamt über 60 Prozent des gesamten Energieverbrauchs im Sommer ausmachen. Kein Wunder, es kann dort bis zu 50 Grad heiß werden an Sommertagen und im aktuellen Stadtbild, das aus Glasflächen auf gigantischen Hochhäusern besteht, zwischen denen Autobahnen verlaufen, braucht es eben unglaubliche Kühlleistungen. Trotzdem wir uns auf arabische Bautradition bezogen haben, war es überraschend, wie viel Überzeugungskraft es gegenüber den lokalen Behörden brauchte, um eine Mischlösung aus natural ventilated building als Kernaspekt und konventieller Kühlung als Puffer für Spitzenzeiten einzusetzen. Das bedeutet, wir setzen auf den Kegelbau als Kernaspekt der lokalen Bautradition, der mittels Begrünung, Speichermasse, Schatten, bewegter Luft und adiabater Kühlung so für ein angenehmes Temperaturempfinden der Menschen sorgt. Wir arbeiten auch mit der Speichermasse der Betonwände.
Das heißt, der Pavillon ist absichtlich massig gebaut, damit sich diese Masse in der Nacht abkühlt. Dadurch wird die kühle Luft gespeichert und untertags wieder abgegeben. Bei der Bauweise spielen viele Faktoren zusammen, mit denen wir insgesamt für ein angenehmes Raumklima sorgen können. Als besonders wichtiger Faktor hat sich der Reflexionsgrad der Außenoberfläche, also der weiße Außenanstrich, herausgestellt. Wir konnten nachweisen, dass unser Gebäude den örtlichen, klimatischen Normenvorschriften entspricht, haben uns mit den Behörden und unseren Auftraggebern allerdings auf ein Backup-Kühlungssystem geeinigt, das für Spitzenzeiten zu Anfang und Ende der Expo – also etwa fünf Prozent der Zeit – vorgesehen ist und das wir im Idealfall kaum einsetzen müssen.“
Abgesehen vom Nachhaltigkeitsgedanken – was war eigentlich die Grundüberlegung hinter dem architektonischen Konzept für die Expo?
Clemens Russ: „Die Expo ist zunehmend schrill und digitalisiert: Wer hat das größte Display, wer hat den Roboter mit den meisten Funktionen? Wir wollten da bewusst gegensteuern und einen entschleunigten Raum anbieten, der Menschen wieder auf die Menschlichkeit besinnt und Digitalisierung spielerisch für den Menschen, also für die Erweiterung der Sinne, einsetzt. Der geschaffene Raum hat auch etwas fast Sakrales. Und ich finde, Moscheen oder Kirchen haben oft etwas sehr Beruhigendes und Sinnliches. Wir wollten uns in Zurückhaltung üben und genauso ein Statement setzen, um sich wieder auf einen maßvolleren und verantwortungsvolleren Umgang mit unseren Ressourcen zu besinnen. Ich muss aber hier betonen, dass das alles – von der Idee über die Planung bis hin zum fertigen Bau – nicht allein auf einen zündenden Gedankenblitz von mir zurück geht, sondern dass wir als querkraft immer als Team funktionieren.
Wir entwickeln unsere Projekte immer dialoghaft, in teils größeren Runden mit möglichst vielen Akteuren aus verschiedenen Disziplinen, um uns an eine geeignete Lösung heranzutasten. Wir iterieren uns zu einer Lösung, wenn man so möchte. Gerade im betreffenden Fall muss man hier einfach unser starkes Planungsteam, bestehend aus Werkraum Wien, Ingenieurbüro P. Jung, Obkircher, Kieran Fraser Landscape Design und Green4Cities, VCE Vienna Consulting Engineers, WME Engineering Consultants, und auch unser Ausstellungsteam nennen, zu dem Büro Wien, Bleed und Ars Electronica Solutions gehören. Aber ein ambitioniertes Projekt braucht auch einen mutigen Auftraggeber – in dem Fall das Expo Büro der Wirtschaftskammer – und eine partnerschaftliche Projektsteuerung, wie die von wernerconsult, die den Weg auf diese Weise mit uns gehen.
Mehr zum Projekt könnt ihr hier nachlesen: www.querkraft.at
Bilder: © querkraft und © querkraft/timelapse middle east / Renderings: © querkraft/Patricia Bagienski
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