Sebastian Reindl züchtet Austernpilze auf künstlichen Baumstämmen und weiß, dass die Welt der Pilze mehr als nur den Champignon zu bieten hat. Fotocredit: © beigestellt
Sebastian Reindl züchtet Austernpilze auf künstlichen Baumstämmen und weiß, dass die Welt der Pilze mehr als nur den Champignon zu bieten hat. Fotocredit: © beigestellt
Sebastian Reindl züchtet Pilze in einem alten Obstkeller auf künstlichen Baumstämmen. Was nach Hobby klingt, ist in Wahrheit ein hochkomplexer Prozess unter laborähnlichen Bedingungen. Wie aus Sägespänen köstliche Bio-Pilze werden, verrät uns der Profi im Interview.
Dieser Artikel wurde am 1. April 2022 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Wer mit Sebastian Reindl ins Plaudern kommt, der merkt eines relativ schnell: Wir wissen viel zu wenig über die spannende Welt der Pilze. Das beginnt damit, dass wir hierzulande im Supermarkt meistens genau eine Sorte davon finden und zwar den Champignon. Da ist es schon das höchste der Schwammerl-Glücksgefühle, wenn es saisonal in den Regalen auch einmal Eierschwammerl im Geschäft zu kaufen gibt. Wer selbst zu den passionierten Schwammerlsucher*innen gehört, der weiß natürlich, dass die Welt der Speisepilze eine viel breitere Variation beinhaltet. 

Aber auch die Heilkraft sowie die kulturellen und historischen Aspekte der Pilze sind von einer faszinierenden Bedeutung. Einer, der ganz genau weiß, wie viel nachhaltiges, ernährungstechnisches und landwirtschaftliches Potenzial in den Pilzen steckt, ist der Pilzprofi Sebastian Reindl. In der Gemeinde Schleedorf hat er mit einer visionären Idee dafür gesorgt, den landwirtschaftlichen Familienbetrieb mit den Biopilzen von Stoff’n in eine spannende Zukunft zu führen. Was das genau bedeutet und wie es dazu kam, haben wir den sympathischen Salzburger im Interview ganz einfach selbst gefragt.

Herr Reindl, Sie züchten in einem alten Obstkeller im Salzburger Alpenvorland Austernpilze, die man vor allem im asiatischen Raum kennt. Wie kommt man denn auf sowas? 

Sebastian Reindl: „Also begonnen hat eigentlich alles mit der Frage, welche Möglichkeiten ich mir vorstellen kann, unsere Landwirtschaft zu Hause weiterzuführen. Derzeit handelt es sich dabei um einen Milchviehbetrieb, aber darin sehe ich nur eine sehr begrenzte Zukunft. Die Milchwirtschaft ist mit viel Arbeit sowie mit viel Risiko verbunden – und das für wenig Ertrag. Aber ich habe das Landwirtschaftsleben eben sehr gerne und darum habe ich lange überlegt, welche Alternativen es für mich gibt, mit denen ich mir das Fortführen gut vorstellen kann.

Und da haben Sie gleich an Pilzzucht gedacht?  

Sebastian Reindl: „Nein, diese Idee ist mir erst während meines Auslandssemesters in Shanghai gekommen. Irgendwie habe ich eine Affinität zu China, deswegen lerne ich auch schon seit sieben Jahren Chinesisch. In China ist mir dann aufgefallen, wie selbstverständlich dort Pilze in die Ernährung integriert werden. Wenn du in Shanghai in den Supermarkt gehst, kannst du da jederzeit zwischen fünf und zehn verschiedene Pilzsorten kaufen, während bei uns einige gar nicht wissen, dass es mehr Pilze als Champignons gibt. Ich hab mich also damit beschäftigt, welche Pilze es sonst noch gibt und dabei herausgefunden, dass sie auch sehr gesund sind.“

Inwiefern kann man Pilze als gesund bezeichnen?

Sebastian Reindl: „Sie haben einen extrem hohen Eiweißgehalt. Nach Hülsenfrüchten und Insekten gehören sie zu den Lebensmitteln mit dem höchsten Eiweißgehalt. Und sie haben einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren, sowie einen hohen Gehalt an Aminosäuren. Und zwar solche, die interessanterweise in Getreide zum Teil nicht enthalten sind. Damit eignen sie sich ideal, diese auszubalancieren und sind so auch eine tolle Ergänzung in der veganen Ernährung. Außerdem sind sie reich an Ballaststoffen, enthalten aber wenige Kohlenhydrate. In all zu großen Mengen können Pilze trotz ihres Nährstoffreichtums allerdings für die menschliche Verdauung ein bisschen herausfordernd werden. Kiloweise sollte man sie also auch nicht rein schaufeln.“ (lacht) 

Aber es waren nicht nur die Nährwertparameter, die Sie an den Pilzen interessiert haben, oder?

Sebastian Reindl: „Genau. Als ich mich näher mit dem Thema beschäftigt habe, habe ich auch herausgefunden, was für eine enorme Kultur und Tradition dahinter steckt. Man muss sich vorstellen, dass wir in Europa im Jahr 1707 damit begonnen haben, Champignons zu kultivieren. In China hingegen ist die Zucht von Shiitake-Pilzen sogar schon im 13. Jahrhundert belegt und es gibt darüber hinaus auch Hinweise, dass mit den Züchtungen von Pilzen bereits im 5. Jahrhundert begonnen wurde. Im Zuge dessen habe ich auch immer deutlicher gesehen, welchen hohen Stellenwert Pilze in Asien neben der Ernährung in der Medizin haben. In der Traditionell Chinesischen Medizin wird eine Vielzahl von Pilzen zur Heilung von Erkrankungen eingesetzt.“

Von der Faszination für Pilze bis hin zu ihrer Züchtung ist es aber noch ein weiter Weg. Wie genau gehen Sie da vor?

Sebastian Reindl: „Im Grunde betreibe ich die Pilzzucht als eine Form der Kreislaufwirtschaft, denn sie wachsen quasi, vereinfacht ausgedrückt, auf künstlichen Baumstämmen. Dabei handelt es sich um einen Substrat-Sack, der in etwa einen Meter lang ist und einen Durchmesser von ca. 30 Zentimetern hat. Wie ein Baumstamm, also. Dieses Substrat basiert auf Reststoffen der Land- und Forstwirtschaft, auf Stroh und Sägespänen. Sägespäne sind ein Abfallprodukt, dem man so einen neuen Nutzen geben kann. Gleichzeitig kann man in der Pilzzucht auf sehr kleinen Raum extrem große Mengen an Lebensmitteln produzieren. Als Richtwert kann man hier sagen, dass man auf etwa 100 Quadratmetern eine Tonne Pilze züchten kann. Pro Monat!“

Hier kümmert sich Sebastian Reindl um seine künstlichen Baumstämme, in denen sich Substrat aus Stroh oder Sägespäne befindet. Fotocredit: © beigestellt
Hier kümmert sich Sebastian Reindl um seine künstlichen Baumstämme, in denen sich Substrat aus Stroh oder Sägespänen befindet. Fotocredit: © beigestellt

Wow! Sie bieten ja auch Workshops und Kurse zum Thema an: Kann ich das also auch lernen und mit dieser Menge an Pilzen ganz schnell ganz reich werden?

Sebastian Reindl: (lacht) „Naja ganz so einfach ist es nicht. Was in der Milchmädchenrechnung einfach aussieht, hinter dem steckt viel Know-how und auch die entsprechenden Voraussetzungen. Bei uns findet man jetzt sozusagen eine große Laborfläche, weil wir das Substrat für die künstlichen Baumstämme mittlerweile auch für andere Züchter*innen herstellen. Man versucht in der Zucht nämlich, die Phasen der Natur künstlich zu simulieren. Zuerst muss aber das das Substrat – also das Stroh oder die Sägespäne – sterilisiert werden. Dafür bedampfen wir es über mehrere Stunden, wodurch ungünstige Pilze und Bakterien, die schon drinnen sind, abgetötet oder zurückgedrängt werden. Dann fügt man die sogenannte Pilzbrut dazu. Die Pilzbrut ist vergleichbar mit Saatgut. Dann verschließt man diesen Sack, in dem der Pilz fast keine Konkurrenz hat, wodurch er das Substrat extrem schnell besiedeln kann.“

Und dann heißt es, abwarten?

Sebastian Reindl: „Nicht ganz. Denn wir müssen die Bedingungen ändern. Wir haben unterschiedliche Räume, in denen quasi verschiedene Jahreszeiten herrschen. In der ersten Phase des Wachstums, die ca. zwei Wochen dauert, simulieren wir die Bedingungen des Sommers, wo es unter der Erde dunkel und sehr warm ist. Da sorgen wir für einen hohen Kohlenstoffdioxidgehalt und wenig Sauerstoff. Wenn danach das Myzelwachstum abgeschlossen ist, gibt man den künstlichen Baumstamm in einen anderen Raum, in dem es sozusagen Herbst ist. Der Austernpilz wächst bei uns im Herbst bzw. Winter, also sorgen wir für Lichtverhältnisse sowie für eine Luftfeuchtigkeit wie im Herbst bei einer Temperatur zwischen 5 und 15 Grad. Dadurch erkennt der Pilz, dass er sich auf eine andere Weise fortpflanzen soll und lässt den Fruchtkörper wachsen. Das ist der Pilz, den wir dann essen.“

Okay, das wird in meiner Wohnung dann wohl tatsächlich etwas schwierig mit der Pilzzucht.

Sebastian Reindl: „Auch dafür haben wir uns etwas überlegt. Wir arbeiten gerade an Pilz-Kits für zu Hause, die bald bei uns erhältlich sein werden. Da verwenden wir dann andere Sorten. In dem Fall zum Beispiel einen speziellen Austernpilz, der jetzt in Italien wachsen würde. Das ist also eine Sorte, die genau bei 20 Grad wächst. Da hat der Pilz bei einer durchschnittlichen Wohnungstemperatur somit ideale Voraussetzungen, um zu wachsen.“

Frische Bio-Pilze und getrocknete Varianten davon kann ich bei Ihnen online bestellen oder direkt bei ihrem „Pilzkühlschrank“ vor Ort abholen. Wer sind denn die Menschen, die zu Ihnen einkaufen kommen?

Sebastian Reindl: „Zu uns kommen vor allem Menschen – ich schätze mal zwischen 40 und 60 Jahren –, die gerne etwas Neues probieren und für kulinarische Abwechslung sorgen wollen. Aber es sind immer wieder auch ältere Menschen dabei, die ganz bewusst weniger Fleisch essen wollen und da auf die Pilze als gesunden Ersatz fürs Fleisch setzen.“ 

Neben der nachhaltigen Landwirtschaft: Was bedeutet das Thema Nachhaltigkeit eigentlich für Sie ganz persönlich?

Sebastian Reindl: „Für mich geht es beim Thema Nachhaltigkeit nicht nur um die Produkte oder um ihre Herstellung. Sondern was ich an meiner Tätigkeit super finde, ist, dass man auch nachhaltig etwas für die Gemeinschaft tut kann. Es geht da auch darum, dass wir in einem kleinen Dorf Lebensmittel anbieten können, die es so hier regional noch nicht gegeben hat. Und wir machen auch viele Workshops, Führungen und Projekte mit Schulen, um das spannende Thema der Pilze, bei dem in Österreich noch wenig Wissen vorhanden ist, nachhaltig weiterzugeben. Da geht es für mich auch um ein soziales Miteinander und darum, nachhaltige Beziehungen aufzubauen.“

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