Eine jahrhundertealte Anbaumethode erregt weltweites Aufsehen, weil sie auf einzigartige Weise zur Erhaltung der Artenvielfalt beiträgt. Doch steigende Meeresspiegel und geringere Niederschläge bedrohen ihre Lebensfähigkeit. Können Experten helfen, sie zu erhalten?
Ein traditionelles Bewässerungssystem in der Nähe einer Lagune im Norden Tunesiens ermöglicht es den Landwirten, das ganze Jahr über Pflanzen anzubauen und gleichzeitig die Artenvielfalt zu erhalten. Die Ramli genannte Anbautechnik, arabisch für “sandig”, hat ihre Wurzeln im 17. Jahrhundert. Sie wurde von Juden und Muslimen entwickelt, die sich in der Region Ghar El Melh in Tunesien niederließen, nachdem sie vor der katholischen Rückeroberung Andalusiens in Spanien geflohen waren. Seitdem wurde das Anbaumodell von Generation zu Generation weitergegeben und wird für sein Gleichgewicht zwischen Pflanzenanbau und Erhaltung des natürlichen Ökosystems geschätzt.
Bei dieser Anbaumethode werden Pflanzen auf sandigen Parzellen angebaut, die rund fünf Hektar oder weniger groß sind und eine Gesamtfläche von etwa 200 Hektar haben. Mit dieser Methode werden Berichten zufolge rund 300 Menschen in Ghar El Melh in Nordtunesien ernährt – einem Gebiet, in dem das flache Wasser durch niedrige Sanddünen vom Mittelmeer getrennt ist. Die Pflanzen werden mit frischem, unterirdischem Regenwasser bewässert, das leichter ist als Meerwasser und daher über dem salzigen Wasser schwimmen kann, ohne sich mit ihm zu vermischen. Der Gezeitenwechsel hebt den Wasserstand an, so dass das Süßwasser die Wurzeln der Pflanzen erreicht.
Landwirte, die Ramli praktizieren, müssen jedoch ein empfindliches Gleichgewicht halten, das von ihnen verlangt, dass sie den Meerwasserstand genau messen und gleichzeitig sicherstellen, dass der Boden auf gleicher Höhe mit dem Wasser liegt. Wenn die Farmen zu tief liegen, kommen die Wurzeln mit dem Salzwasser in Berührung, was letztlich die Pflanzen tötet. Liegen die Anbauflächen dagegen zu hoch, wird den Wurzeln das Grundwasser entzogen und sie vertrocknen. Im Laufe der Zeit haben die Landwirte dieses jahrhundertealte System perfektioniert, das es ihnen ermöglicht, das ganze Jahr über Gartenbaukulturen wie Zwiebeln, Bohnen und Kartoffeln anzubauen, auch wenn im Rest des Landes Trockenheit herrscht.
Ramli fördert die Artenvielfalt
Landwirte, die diese Technik anwenden, können jährlich bis zu 20 Tonnen produzieren. Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) aus dem Jahr 2020 zufolge haben die Ramli-Kulturen außerdem einen einzigartigen Geschmack, der bei den Einheimischen gut ankommt. Diese Einzigartigkeit ist auf das natürliche Bewässerungssystem zurückzuführen, das genau auf den Wasserbedarf dieser Pflanzen abgestimmt ist. Eine Kaskade von Sträuchern, Obstbäumen und Schilf um die Lagune herum schützt die Farmen vor Erosion, Wind und Meeresgischt, fixiert den Sand und verringert die Verdunstung. Die Praxis fördert auch die landwirtschaftliche Artenvielfalt, indem sie den Landwirten ermöglicht, die Vielfalt der von ihnen angebauten Pflanzen zu erhöhen und Saatgut auszutauschen.
Da der Klimawandel jedoch zu unregelmäßigeren Niederschlagsmustern und einem Anstieg des Meeresspiegels führt, sieht sich dieses einzigartige Modell neuen Bedrohungen ausgesetzt. Der Anstieg des Meeresspiegels könnte dazu führen, dass Salzwasser in den Boden eindringt, was das System letztlich gefährdet. Eine weitere Gefahr für Ramli ist Tourismus und der Verkauf des Lands an der Küste. Landwirte geben ihr Land zunehmend an Immobilienbesitzer ab. Zudem wandert eine große Zahl junger Menschen auf der Suche nach besseren Arbeitsmöglichkeiten aus den ländlichen Gebieten in die Städte ab.
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Bild: MedWet/C.Amico