Glyphosat
Glyphosat
Wahrheit hinter wirtschaftlichem Interesse? – Wem kann man noch trauen?
Dieser Artikel wurde am 17. Februar 2016 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Wenn ich als Verbraucher die Diskussion um Glyphosat – ja generell um Pestizide, Medikamente und Co. – verfolge, bin ich höchst verunsichert und vor allem misstrauisch. Seien wir mal ehrlich: Die Welt besteht nicht aus lauter “Gutmenschen”, die sich wie Eltern um die Menschenkinder sorgen und nur das Beste für sie wollen. Hier geht es nicht um “Unsere kleine Farm”. Hier geht es um eine industrialisierte Agrarwirtschaft mit Milliarden-Umsätzen.

Stutzig machen mich auch Sätze wie: “Sie (Anm: Mitglieder der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen) hätten “lange überlegt”, ob sie “Muttermilch auf Glyphosat testen und in Kauf nehmen sollen, damit stillende Mütter möglicherweise zu verunsichern” (2). Wären da einem nicht Aussagen lieber wie: “Wir mussten diese Tests durchführen, denn Sicherheit geht immer vor!”, besonders von einer Partei, die sich ökologische und soziale Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt? Kommt die Verunsicherung nicht gerade dadurch zustande, dass überhaupt darüber nachgedacht wird, Stimmung und eventuelle Panikmache gegen Wahrheitsfindung abzuwägen? Wem kann man da noch vertrauen?

Weltweiter Verbrauch von Glyphosat steigt

Glyphosat ist das am meisten verwendete Unkrautvernichtungsmittel. Auf dem Acker tötet es alle Pflanzen ab – bis auf die genetisch veränderten. Weltweit werden jährlich mehr als 720.000 Tonnen des Breitbandherbizides verkauft. Der Marktwert liegt bei geschätzten 5,5 Milliarden Dollar, die geschätzte Wachstumsrate bei über sieben Prozent. Das Problem: Glyphosat kommt nicht ohne Nebenwirkungen daher. Zum einen macht es Pflanzen resistent, die es eigentlich abtöten soll. Zum anderen steht es im Verdacht, Krebs zu verursachen. Und an diesem Punkt scheiden sich die Geister: Manche Fachleute bestätigen diese These, manche widerlegen sie.

Als Leihe fragt man sich, wie das überhaupt sein kann. Haben die Forscher nicht alle dasselbe studiert? Gibt es keine standardisierten Prüfmethoden? Wieso kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen? Bleibt am Ende nicht nur die Antwort: Weil sie zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen wollen? Und wenn jeder nur sein Interesse bestätigen möchte, welches Interesse könnte jemand haben, der eine mögliche Krebsgefahr attestiert? Was hat er davon? Die Motive der anderen Seite zu durchschauen, ist da schon einfacher: Wer sagt, durch Glyphosat besteht keine Gefahr, der kann weiter Umsätze damit generieren. Kann man dem Verbraucher sein Misstrauen da verübeln …?

Angestiegene Krebsrate nur ein Zufall?

Schauen wir nach Südamerika. Hier wird – neben den USA – am meisten Glyphosat angewendet. Dies steht im Zusammenhang mit der hiesigen Fleischindustrie. Glyphosat kommt auf Feldern zum Einsatz, auf denen gentechnisch veränderte Sojapflanzen als Futtermittel angebaut werden. Je mehr Fleisch weltweit gegessen wird, desto mehr Glyphosat wird verwendet. In Argentinien hat sich der Verbrauch von Unkrautvernichtungsmitteln, darunter wieder am häufigsten Glyphosat, im letzten Jahrzehnt mehr als verzehnfacht. Das Mittel wird aus Flugzeugen verspritzt. Ein Teil des Giftes wird vom Wind verweht. Ärzte und Zivilgesellschaft klagen, dass in den Regionen Hautausschläge, Atemwegserkrankungen und Krebs in erhöhtem Maß auftreten. Kann man da noch an zufällige Korrelationen glauben?

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Ausschnitt aus der Grafik: Europäische Länder mit Herbizid resistenten Pflanzen, gemeldete Fälle, Stand: 2014. Urheber: Heinrich-Böll-Stiftung, BUND. CC-BY-SA Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

Glyphosat in der EU – Wer hat nun Recht?

In Deutschland wird Glyphosat auf etwa 40 Prozent der Ackerflächen verwendet bei einem Marktanteil von 30 bis 40 Prozent. 2015 fand eine Bewertung des Mittels seitens der EU statt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schloss das Verfahren mit der Aussage, Glyphosat sei als unbedenklich für die menschliche Gesundheit und als nicht krebserregend einzuschätzen. In diesem Jahr soll die EU-Kommission entscheiden, ob Glyphosat auf der Liste der erlaubten Mittel bleibt. Die Aussage der EFSA bildet dabei eine wichtige Grundlage.

Für die zugrundeliegende Untersuchung hatte die EFSA das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) beauftragt. Nach einer Auswertung von über 1.000 Studien kam es zum Ergebnis
“nicht krebserregend”. Doch schon einige Monate später veröffentlichte die Internationale Krebsforschungsagentur IARC, die zur Weltgesundheitsorganisation gehört, einen eigenen Bericht. Auch die IARC wertete vorhandene Studien und Literatur aus – mit dem Ergebnis: “wahrscheinlich krebserregend”. Ja, und nun?

Kein Vertrauen in die Unbedenklichkeit von Glyphosat

Seitdem streiten sich die Fachleute und ihre jeweiligen Unterstützer. Man wirft sich vor, unwissenschaftlich gearbeitet zu haben, Ergebnisse über- oder unterzuinterpretieren und wichtige Ergebnisse nicht in die Bewertung einbezogen zu haben. Und dann liest man: “Der Unbedenklichkeitsbefund des deutschen BfR stützt sich Großteils auf Forschungen der Industrie” (1).  Und man erfährt, dass einige Studien, die in die Bewertung einflossen, von den Firmen nicht oder nur zum Teil veröffentlicht wurden und sich damit völlig der öffentlichen Diskussion entziehen. Wie soll man da als Verbraucher nicht misstrauisch sein …?

Auf der Gegenseite fordern mehr als 100 internationale Wissenschaftler den EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit auf, dieser Bewertung nicht zu folgen und Glyphosat im nächsten Jahr nicht wieder zuzulassen. Es sei nicht zu überprüfen, ob das BfR oder die IARC Recht habe – weil Firmengeheimnisse in den BfR-Bericht einflossen, wird er nicht veröffentlicht. Ehrlich: Mein Vertrauen in die Unbedenklichkeit von Glyphosat ist damit endgültig verloren.

Quellen:
(1) Christian Chemnitz: Kampf um die chemische Keule. Kapitel aus: Fleischatlas 2016 – Deutschland Regional. Januar 2016. Lizenz: CC-BY-SA. Hier abgeändert vorliegend. https://www.boell.de/de/2016/01/13/kampf-um-die-chemische-keule (zuletzt aufgerufen: 01. Februar 2016).
(2) Hanno Charisius: Vermeintlicher Gesundheitsskandal Glyphosat – zu viel Lärm ums Stillen. sueddeutsche.de, 16. Februar 2016. http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/glyphosat-zu-viel-laerm-ums-stillen-1.2865749 (zuletzt aufgerufen: 17. Februar 2016).
Titelbild: © Martina Liel