Soziokratie und Holokratie sind beides mögliche Formen der Entscheidungsfindung und Organisationsstruktur in Gruppen. Sie basieren darauf, dass Entscheidungen nicht aufgrund von hierarchischen Rollen getroffen werden, sondern nach dem Konsent-Prinzip von jedem Teilnehmer des jeweilig zuständigen (Arbeits-)Kreises. Es gilt die Idee des sich selbst organisierenden Netzwerkes, wo es nicht einen Chef gibt der im Zweifelsfall entscheidet, sondern immer eine Gruppe an Menschen gemeinsam. Aufgrund der Aufteilung in Kreise und Sub-Kreise ist es möglich, die Entscheidungen genau dort und mit den Menschen zu treffen, die direkt im jeweiligen Thema eingebunden sind.
Soziokratie
In den 70ern wurde in den Niederlanden die Soziokratie von Gerard Endenburg in ihrer heute bekannten Form entwickelt. Sie besteht aus vier Grundprinzipien:
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Entscheidungen werden auf Basis des Konsent-Prinzips getroffen
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Die Organisation ist in Kreisen strukturiert, die in ihren Bereichen die Entscheidungen treffen
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Kreise sind doppelt verknüpft – es gibt jeweils 2 Vertreter, die in beiden aneinandergrenzenden Kreisen vertreten sind
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Wer welche Aufgaben und Funktionen übernimmt wird durch eine Wahl im Kreis bestimmt
Holokratie
Holokratie ist wesentlich jünger. Sie wurde 2006 von Brian Robertson – auf Basis der Soziokratie, mit Einflüssen aus der agilen Softwareentwicklung, sowie den Arbeiten von Ken Wilber – entwickelt. Bis auf einige Details sind diese zwei Formen jedoch sehr ähnlich.
Organisationsstruktur
Strukturiert ist die Organisation in Kreisen, die eine Abflachung der Hierarchie bewirken sollen. Meist gibt es einen zentralen Organisations- oder Koordinationskreis, der aus jeweiligen Leitungsorganen und Delegierten diverser themenspezifischer Subkreise besteht. Diese können dann noch in weitere Subkreise gegliedert sein. Das Wesentliche ist im Grunde die doppelte Verknüpfung der Kreise. Das bedeutet, dass jeweils mindestens zwei Personen (Leitung und Delegierte/r) sowohl im übergeordneten als auch im darunterliegenden Kreis vertreten sind. Dadurch wird der Informationsfluss in beide Richtungen ermöglicht. Außerdem sind bei Entscheidungen alle Aspekte und Anliegen der jeweiligen Arbeitskreise vertreten und integriert.
Einwände
Entscheidungen werden auf Basis des Konsent-Prinzips getroffen. Grob erklärt heißt das, dass ein Vorschlag in die Gruppe eingebracht wird und jedes Mitglied kann entweder zustimmen, einen leichten Einwand, oder einen schwerwiegenden Einwand haben. Leichte Einwände können gehört werden und auch in die Entscheidung mit einfließen, müssen aber nicht. Bei einem schwerwiegenden Einwand jedoch muss das Gesamtziel der Gruppe gefährdet sein, wodurch auch die Entscheidung in dieser Form nicht getroffen werden kann, solange der schwerwiegende Einwand nicht geklärt oder beseitigt wurde.
Holokratie oder Soziokratie?
Für die meisten Organisationen, die eine dieser Formen der Organisationsstruktur einsetzen wollen, sind die Unterschiede nicht so relevant, da ohnehin nur die grobe Struktur übernommen und der Rest an die jeweiligen Anforderungen der Unternehmung angepasst wird. Der in der Umsetzung wohl wesentlichste Unterschied ist die freie Verfügbarkeit und erlaubte Nutzung.
Holokratie ist eine geschützte Marke, bei der auch die Ausbildung und Zertifizierung zum Holokratie-Berater streng geregelt ist, und mit viel Geld und einem zugrundeliegendem Geschäftsmodell verbunden ist. Im Gegensatz dazu ist Soziokratie weniger kommerziell ausgerichtet, frei verfügbar und dezentraler organisiert. Dadurch sind jedoch auch unterschiedliche Auslegungen, Interpretationen und Umsetzungen möglich.
Fazit
Ich habe den Versuch der Einführung von Soziokratie in unterschiedlichen Gruppen erlebt, und noch weitere Erfahrungsberichte von anderen Gruppen gehört. Kombiniert mit diversen Artikeln über die Erfahrungen mit Holokratie kann ich derzeit sagen, dass die Grundstruktur und -idee auf jeden Fall für viele alternativ strukturierte Vereine und Organisationen sehr hilfreich ist.
Es ist jedoch im Detail noch sehr viel experimentelle Forschungsarbeit notwendig, wie einerseits die Effizienz von Entscheidungsprozessen verbessert werden kann, und andererseits auch die Bedürfnisse der einzelnen Menschen in irgendeiner Form ihren Platz haben, oder zumindest angehört und behandelt werden können.
Wahrscheinlich wird es auch hier – wie bei so vielen Dingen – keine Lösung geben, die für alle Gruppen und Organisationen völlig gleich funktionieren kann. Jede Methode, jedes System muss immer auch an die Menschen, an die vorherrschende Kultur und an die Anforderungen sowohl initial als auch als Prozess stetig angepasst werden.
Weiterführende Quellen
Holacracy. vom Scheitern eines Betriebssystems
Unterschiede zwischen Holokratie und Soziokratie
http://www.soziokratie.org/
https://www.holacracy.org/
Sociocracy vs Holacracy vs Sociocracy 3.0
http://www.soziokratie.at/
Bildquelle
pixabay.com / BRRT