Im Sommer war das Radfahren großes Thema in den Medien. Politiker, Autofahrer und Hobbyradler haben sich zum Thema geäußert. Eine Stimme wurde wenig gehört: ausgerechnet die von berufsmäßigen Radfahrern, den Fahrradboten und -botinnen. energieleben.at hat Hermes und Spinning-Circle um Stellungnahmen gebeten.
Dieser Artikel wurde am 3. Oktober 2012 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Therese Fuchs ist seit gut sechs Jahren Fahrradbotin bei Hermes. Sie macht den Job neben dem Studium: “Ich schreibe Diss am Institut für Politikwissenschaft.” Hermes ist ein kleiner Botendienst, der sich als Verein organisiert. Es gibt daher keinen Chef und keine Konkurrenz zwischen den FahrerInnen. Die Bezahlung erfolgt nicht nach Aufträgen, sondern nach Stunden.

Gregor Scheinecker ist seit 15 Jahren Fahrradbote in Wien und seit sieben Jahren bei Spinning Circle. Spinning Circle berechnet die Preise durch eine Mischung aus Kilometer- und Zonentarif und hat sich günstiges, promptes Kundenservice bei gleichzeitig fairer Bezahlung der Boten auf die Fahnen geschrieben. Ziel des Teams ist eine zusammengeschweißte Gemeinschaft von Boten, die gemeinsam durch dick und dünn gehen.

energieleben.at: Fahrradboten haftet ein besonderer Ruf an – sie gelten als wild und angstfrei, als Abenteurer, als Rowdys. Was ist dran an diesen Klischees?

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Kurz gesagt: Es ist ein Klischee. Wären wir bei einer Tageskilometerleistung von rund 100 km wild und abenteuerlich unterwegs, würden wir regelmäßig im Krankenhaus landen.

Aufgrund unserer Erfahrung und die Kenntnisse über den Stadtverkehr ist der Job wesentlich ungefährlicher als von der Öffentlichkeit wahrgenommen und kann auch ohne permanenten Gesetzesbruch zuverlässig und kundengerecht erledigt werden.

Ein Faktor trifft aber wahrscheinlich für die meisten Boten zu, nämlich die Freude und der Spaß am Radfahren. Dieser Grund ist sogar so wesentlich, dass top-ausgebildete Leute wie Akademiker lieber bei uns bei jedem Wetter Ihre Kilometer runterstrampeln, als in einem Büro zu sitzen. So gesehen muss man schon eine große Leidenschaft für das Radfahren entwickeln, um diesen Job auszuüben.

Therese Fuchs (Hermes): Es stimmt schon, dass wir unter den AutofahrerInnen nicht die Beliebtesten sind. Zur Verteidigung: es herrscht oft sehr hoher Zeitdruck und: wir können’s einfach. Und ja, es macht auch Spaß, auch wenn sich dabei nicht viel verdienen lässt; dieses Problem hat aber die ganze Branche, weil Botendienste prinzipiell unter hohem Preisdruck stehen.

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Das Einkommen ist sicherlich kein Grund, der eine oder andere Kollege würde in einer anderen Branche sicher mehr verdienen. Dahingehend sind wir sicher Freaks, Maniacs oder so ähnlich, aber im positive Sinne und nicht im Sinne von Radrowdys.

Therese Fuchs (Hermes): Die „Radrowdies“ gibt es übrigens wirklich: das sind diese netten Menschen mit den neongelben Warnwesten.

energieleben.at: Niemand kennt das Radfahren in der Stadt so wie die Fahrradboten. Was hat sich in den letzten Jahren verändert?

Therese Fuchs (Hermes): Vieles. Jedes Jahr sehe ich mehr Menschen auf dem Fahrrad. Einige Radwege werden langsam eng. Lustig zu beobachten ist der Wandel der Fahrräder. War früher das Mountainbike (mit möglichst vielen Gängen und Federungen) das um und auf, gibt es jetzt den Trend zum reduzierten Fahrrad. In Wien macht ein Fahrradgeschäft nach dem anderen auf. Fahrradfahren wird immer mehr Mode.

Andererseits gibt es aber eine starke Anti-Rad-Kampagne. In Wien streiten sich FPÖ und ÖVP um den ersten Platz als Autofahrerpartei. Ich glaube, wenn wir in Österreich nicht so starke Autofahrerclubs hätten, gäbe es schon längst Amsterdamer Verhältnisse.

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Durch das verkehrspolitische Ziel “Förderung des Radverkehrs” ist das Thema Radfahren zur Zeit sicher aktueller als vor ein paar Jahren, was aber auch zu Polarisierung führt, da es um die Verteilung der Resource “Öffentlicher Raum” geht.

energieleben.at: Was ist besser geworden?

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Der Ausbau des Radwegnetzes und auch das Öffnen von bestimmten Einbahnen, das Benützen von Sonderspuren oder Radstreifen hat sich sicher für die Radfahrer positiv ausgewirkt.

Therese Fuchs (Hermes): Der Ausbau der Radwege ist auf jeden Fall positiv. Sie werden auch immer intelligenter angelegt, nämlich nicht mehr weit weg von der Straße hinter parkenden Autos, sondern als eigene Spur auf der Straße.

energieleben.at: Warum ist das intelligenter?

Therese Fuchs (Hermes): Weil Radfahrende sonst außerhalb des Blick- und Denkfeldes von AutofahrerInnen sind. Auf Übergängen passiert dann sehr oft etwas. Auch mir sind die meisten Unfälle auf Radwegen passiert (übrigens alle ohne Eigenverschulden).

energieleben.at: Wo liegen Defizite?

Therese Fuchs (Hermes): Die Baustellenkennzeichnung. Die ist oft einfach nicht vorhanden. Als der Praterstern saniert wurde, bin ich einmal bei Dunkelheit mit gutem Tempo den Radweg entlanggefahren. Der hat urplötzlich mit einem Betonblock geendet. Da war kein Schild, keine Warnblinkanalage, gar nichts. Auf Radwegen hält man das anscheinend für unnötig.

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Leider zeigen sich bei bestimmten Stellen wie Kreuzungen oder Radstreifen grobe Planungsfehler, die ein hohes Konfliktpotential zwischen den Verkehrsteilnehmern erzeugen. Durch die Einbindung von erfahrenen Radfahrern (!) könnten solche Fehler bei der Planung vermieden werden.

energieleben.at: Was gibt es zum Radwegenetz zu sagen?

Therese Fuchs (Hermes): Viele Übergänge sind verwirrend – etwa wenn auf der Heiligenstädter Straße der Radweg plötzlich nach links auf die Straße führt. Oder der Radweg auf der Oberen Donaustraße nach der Lilienbrunngasse: der endet abrupt. Wer nicht aufpasst, fährt über die Gehsteigkante und landet auf der vierspurigen Straße. Da warten sie wahrscheinlich, bis das Bauprojekt fertig ist.
Ein Schild, dass der Radweg endet, wäre aber nicht ganz unangebracht. Ein Schild, dass der Radweg nach 50 Metern weitergeht, wäre super.

energieleben.at: RadfahrerInnen und FußgängerInnen sind die schwächsten VerkehrsteilnehmerInnen. Was ist für Radfahrende der wichtigste Tipp im Umgang mit dem Autoverkehr?

Konzentration

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Das wichtigste ist eine hohe Aufmerksamkeit im täglichen Verkehr, da man sich als Radfahrer auch bei einer eindeutigen rechtlichen Situation nie sicher sein kann.

Selbstbewusst und freundlich

Therese Fuchs (Hermes): Ellbogen benutzen. Wir dürfen genauso auf der Straße fahren, auch wenn wir langsamer fahren und manchmal die Autos hinter uns herfahren müssen.

Andererseits: freundlich bleiben. Viele Streitereien beruhen auf Missverständnissen. Etwa: warum müssen sich RadfahrerInnen immer nach vorn drängeln? Na weil wir vorne nicht die ganzen Abgase abbekommen. Das hab ich einmal einer Autofahrerin erklärt und sie hat gesagt: „Ach so, na das kann ich verstehen.“

Auf keinen Fall darf man dem Autofahrer, der einen grad geschnitten hat, auf die Motorhaube klopfen. Das Auto ist seinem Besitzer/seiner Besitzerin heilig und darf von RadfahrerInnen nicht berührt werden. Könnte böse enden.

energieleben.at: Als Sommerthema 2012 haben sich gewisse Spannungen gezeigt, es sind Forderungen nach gesetzlichen Einschränkungen laut geworden – Helmpflicht, Nummerntafeln, empfindliche Geldstrafen und dergleichen. Was meinen Sie dazu?

Therese Fuchs (Hermes): Naja, was werde ich als Fahrradbotin dazu sagen… Wieso sollte man das Fahrradfahren bürokratisch machen? Solche Vorschläge kommen wohl eher aus der Fraktion, die das Radfahren unattraktiv machen wollen.

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Es wird schwer möglich sein, mit Einschränkungen wie Nummerntafeln oder Helmpflicht den Radverkehr und den damit verbundenen gesamtwirtschaftlichen Nutzen zu erhöhen.

Vorrang für Fußgänger

Therese Fuchs (Hermes): Andererseits stimmt es schon, dass es Leute gibt, die sehr dumm durch den Verkehr fahren. Wenn man Regeln beugt, sollte man das so elegant und intelligent machen wie wir RadbotInnen. Den Vorschlag, Benimmregeln auszugeben, fände ich gar nicht so schlecht.
Es wäre z.B. in Wien ganz dringen nötig, offiziell zu verlautbaren, dass FußgängerInnen auf Zebrastreifen Vorrang haben. Das gilt nicht nur für Räder, sondern ganz besonders für Autos.

Oder die Grundregel festzuhalten, dass die stärkeren auf die schwächeren Verkehrsteilnehmenden aufzupassen haben, also Autos auf Fahrräder und Fahrräder auf FußgängerInnen. Ich finde es weniger schlimm, über eine rote Ampel zu fahren, als bei einem Zebrastreifen nicht zu warten.

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Mein Verhältnis mit den anderen Verkehrsteilnehmern ist durchaus ein gutes, Konflikte gibt es selten, das liegt aber am eigenen Verhalten und auch der anderen Verkehrsteilnehmer. Gegenseitige Rücksichtnahme sollte selbstverständlich sein. Zum Beispiel haben bei mir Fußgänger auf Zebrastreifen grundsätzlich Vorrang (was übrigens äußerst positive Reaktionen hervorruft).

Ich bestehe auch nicht immer auf mein Recht und verzichte, wenn es zur Gefahrenvermeidung dient, auf meinen Vorrang. Dasselbe erlebe ich aber auch immer wieder von anderen Verkehrsteilnehmern wie zum Beispiel – man glaubt es kaum – mit Taxifahrern. Die Wahrnehmung anderer Verkehrsteilnehmer hat sich aus meiner Sicht dahingehend auch gebessert.

Miteinander reden

energieleben.at: Wie kann das Verhältnis zwischen den verschiedenen VerkehrsteilnehmerInnen verbessert werden?

Therese Fuchs (Hermes): Miteinander reden. Siehe oben.

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Eine Möglichkeit für ein besseren Umgang zwischen den Verkehrsteilnehmer wäre es, die Situation und Sichtweise des anderen Verkehrsteilnehmer zu erleben und damit ein besseres Verständnis für die anderen Verkehrsteilnehmer zu entwickeln.

energieleben: Was ist die größte Stärke des Fahrrads als Fortbewegungsmittel in der Stadt?

Gregor Scheinecker (Spinning Circle): Spaß, Zeit, Fitness, Kosten, Umweltschutz. (Reihenfolge beliebig)

Therese Fuchs (Hermes): Die größte Stärke des Fahrrads für mich: Schmal genug zu sein, um durch die Autokolonnen durchzupassen und sich Sorgen die Parkplatzsuche zu ersparen. Für die anderen: die Abwesenheit des Motors – kein Lärm, keine Abgase.

 

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