Gaby Pils machte Enns zum Cittàslow-Vorzeigeprojekt.
Dieser Artikel wurde am 12. August 2016 veröffentlicht
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Gaby Pils machte Enns zum Cittàslow-Vorzeigeprojekt, als es der Stadt wirtschaftlich schlecht ging. Cittàslow ist eine Bewegung, die inspiriert von der Slow-Food-Bewegung in Italien gegründet wurde, um die Lebensqualität in Städten zu verbessern, Diversität zu fördern und die eigenen Werte der Stadt und des Umlands hervorzuheben. Auch die Amerikanisierung von Städten will die Bewegung verhindern. Innerhalb von wenigen Jahren schaffte Gaby Pils es durch zahlreiche persönliche Kontakte, durch Engagement und konsequente Medienarbeit, die Cittàslow-Philosophie nachhaltig in den Köpfen der Bewohner von Enns zu verankern, bis sie vor zwei Jahren in den Ruhestand ging. Wie ihr das alles gelang, erklärt Gaby Pils im Interview.

Wie kam es dazu, dass Enns zur Cittàslow wurde?

Aus einer reinen Notsituation heraus. Der Stadt ging es wirtschaftlich furchtbar schlecht. Es gab keine Kaufkraft mehr, weder in der Stadt selbst noch von außen. Enns liegt nur 15 Kilometer von Linz entfernt. Wer etwas brauchte, kaufte es dort. Menschen und Geschäfte begannen abzuwandern. Man versuchte dann, Enns als Stadt der Römer zu vermarkten. Das Konzept ging aber nicht auf. In einem weiteren Schritt kam man dann auf das Cittàslow-Konzept. Enns ist wie eine italienische Stadt: klein, durch eine Stadtmauer eingeschränkt und es liegt auf einem Hügel. Die Stadt ist 2007 an mich herangetreten und hat mich mit der Betreuung und Umsetzung des Konzepts beauftragt.

Wie kam die Idee der Cittàslow an?

Anfangs hat sich das nur langsam ausgewirkt. Die Menschen waren skeptisch, sie wussten nicht, was das bedeutet, „Cittàslow“. Allein schon der Ausdruck stieß auf Widerstand. Das war aber gut, denn so hatte ich die Möglichkeit, das zu erklären. “Slow” kommt von “Slowfood”, da ist ja durchwegs positiv besetzt, und “città” bedeutet nichts anderes als „Stadt“. Damit hatte ich die ersten Anknüpfungspunkte mit den Menschen.

Wie hat sich das Cittàslow-Konzept auf die Stadt ausgewirkt?

Es gab Wünsche vonseiten der Gastronomen, der Hausbesitzer, der Geschäftsleute und der Kommune. Da musste ich Prioritäten setzen. 2007 gab es zum Beispiel in Enns kein Herrenmodengeschäft. Daraufhin hat sich ein junges Ehepaar gefunden, das eines aufgezogen hat. Begonnen haben die beiden in einem Gewölbe, mittlerweile beleben sie das ganze Haus. Dem Geschäft geht’s gut. Aber man muss natürlich sein Handwerk auch verstehen. Vieles wurde auch über Events erreicht. Wir haben ein Silvesterfest ohne Knallerei organisiert, mit einem Eislaufplatz, der vier Wochen lang gratis genutzt werden durfte. Beim Faschingsfest haben wir die Prinzenpaare eingeführt (siehe Artikelbild, Anm.d.Red.) – “echte” Paare mit einem innerstädtischen Betrieb, die den großen Stadtschlüssel während ihrer Regentschaft in ihrer Auslage präsentierten. So entstand auch eine enge Wirtschaftszusammenghörigkeit und mein Spitzname “Queen Mum”. Hofwandertage, die den Menschen zeigen sollten: Wir haben selber alles, was man essen kann, und was gut ist. Dadurch sind viele auf das Cittàslow-Konzept aufmerksam geworden. Im Stadtturm wurde ein Pixelhotel eingerichtet, das auf Jahre hinweg ausgebucht ist. Ein junger Mann hat einen Bauernhof geerbt und kam auf die Idee, dort Wollschweine zu züchten. Ich habe ihm geholfen, Förderungen aufzutreiben. Das Cittàslow-Konzept passt ja sehr gut in das Konzept der „Dorf- und Stadterneuerung“ der oberösterreichischen Landesregierung – insgesamt konnte ich rund sechs Millionen Euro an Fördergeldern für Enns lukrieren. Das Problem ist nur, dass die Gemeinden oft erst aufwachen, wenn der letzte Wirt zusperrt.

Hat Enns als Cittàslow auch auf den Tourismus Auswirkungen?

Natürlich, für den Tourismus ist das ebenfalls ein Thema. Es gibt Cittàslow-Reisende und es gibt Slowfood-Reisende, die ihre Destinationen genau nach diesem Aspekt aussuchen. Die genau das suchen, dass die Stadt darauf schaut, dass es auch ihren Enkeln gut geht, dass sie gefahrfrei über die Straße gehen können – Enns war ja auch in Sachen Begegnungszonen federführend – und dass eine Zukunft in der Stadt gebaut wird. 2007 hatten wir 11 000 Übernachtungen, 2014 waren es 30 000. 67 neue Betriebe haben sich in der Innenstadt angesiedelt: eine Änderungsschneiderei, eine Bügelei, eine Schuhboutique – lauter kleine, feine Sachen. Aber diese müssen Qualität haben und etwas Besonderes sein. Denn der Kunde weiß sehr genau, was etwas kosten darf und wie etwas schmecken oder sich anfühlen muss.

Wie lässt sich das Cittàslow-Konzept umsetzen?

Die Stadt muss authentisch bleiben – das, was gut ist, muss man ausbauen, das, was sie nicht hat, bitte auch nicht erfinden. Anfangs gab es zum Beispiel ein Mal pro Woche einen Grünmarkt. Jetzt gibt es den drei Mal pro Woche, plus einen Hofladen, und die Leute kommen dafür sogar extra aus Linz nach Enns. Vielen war nicht bekannt, dass die Pergamente, auf denen die Nobel-Preis-Urkunden verliehen werden, in Enns gefertigt werden. Oder dass es weltweit kein Orchester gibt, das nicht auf Fellen trommelt, die in Enns hergestellt werden – händisch, und ohne Chemie. Vieles funktioniert über die Bewusstseinsbildung. Das Wichtigste ist: „Cittàslow“ darf keine Worthülse bleiben. Man muss die Leute zusammenbringen, dann entstehen auch Synergien. Im Ennser Stadthafen wurde der Zander angesiedelt. Dieser braucht aber Gestrüpp, damit er laichen kann. Da kamen wir auf die Idee, die Christbäume dafür zu nutzen. Vieles kann man mit ganz wenig Budget umsetzen. Aber man muss gute Medienarbeit leisten und bei der Abrechnung gründlich sein.

Würden Sie das Cittàslow-Konzept auch anderen Städten empfehlen?

„Cittàslow“ dient letztlich nur als Überschrift. Man muss aber nicht unbedingt eine Cittàslow sein, um die positiven Aspekte dieser Idee auszuleben. Es muss lediglich der Wille da sein: „Wir wollen alle zusammen in unserer Kommune eine enkeltaugliche Zukunft“. Es geht darum, das, was es jetzt noch von den guten, alten Dingen gibt, zu erhalten. Ein Freilichtmuseum will die Cittàslow keinesfalls sein. Vieles hängt aber am persönlichen Engagement von Einzelnen. Wenn einer was tut, tun plötzlich 20 was, und dann 500… Die Philosophie ist aber toll, die gibt es weltweit. Die Cittàslow-Philosophie zu leben würde ich jeder Kommune raten, bevor der Letzte das Licht ausdreht.

 

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Quelle: Energieleben Redaktion

Linktipps: Cittàslow.org

Cittàslow auf Wikipedia
Foto: Werner Redl