Elektrifizierung von Wien
Elektrifizierung von Wien
Prof. Peter Eigner zur Geschichte der Elektrifizierung der Stadt Wien.
Dieser Artikel wurde am 20. Mai 2016 veröffentlicht
und ist möglicherweise nicht mehr aktuell!

Was wäre Wien heute ohne elektrischen Strom? Was für uns mehr als selbstverständlich ist, hat sich im auslaufenden 19. Jahrhundert erst nach und nach ausgebreitet. Wie der Strom nach Wien kam und was das für den Alltag der Wiener Bevölkerung bedeutete, erklärt Prof. Peter Eigner vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien.

Wann und wie wurde die Elektrizität in Wien eingeführt?

Bei der Weltausstellung in Wien 1873 wurden Gleichstrombogenlampen, Gleichstrommotoren und Dynamomaschinen gezeigt. Drei Jahre später wurde die erste Bogenlichtlampe erzeugt. In den folgenden Jahren wurde der elektrische Strom nach und nach in Wien eingeführt. 1878 wurde der Wiener Eislaufverein elektrisch beleuchtet, 1880 probeweise die Halle des Südbahnhofs. Im selben Jahr wurden 40 Lampen im Volksgarten montiert, zwei Jahre später weitere auf dem Graben, einem Teil des Stephansplatzes, am Opernring und in einem Teil der Kärntner Straße. 1882 fand die Gründung der Ersten österreichisch-ungarische Fabrik für elektrische Beleuchtung und Kraftübertragung statt. Gemeinsam mit der „Wiener Elektrizitätsgesellschaft (1887 gegründet) und der „Internationalen Electicitätsgesellschaft“ (1890 gegründet) gab es damit drei private Elektrizitätsversorger in Wien, die 1890 rund 20.000 Glühbirnen und 1897 bereits 328.000 speisten. Neben diesen großen Gesellschaften gab es noch ungefähr 20 kleinere Anlagen.

Prof. Peter Eigner
Prof. Peter Eigner

Wie gelangte die Hoheit über den Strom in Gemeindehand?

1902 wurde die gemeindeeigene „Centrale Simmering“ des von Karl Lueger gegründeten städtischen Elektrizitätswerks in Betrieb genommen – mit einer Kapazität von 72.000 kW. Unhaltbare soziale Zustände bei Straßenbahnen – diese wurden ab 1897 elektrifiziert – und Tarifprobleme mit privaten Gas- und E-Werken führten zu Kommunalisierung.

Zunächst herrschte eine Konkurrenzsituation zwischen Gemeinde und privater E-Wirtschaft. Doch die Gemeinde saß am längeren Hebel. Die privaten Werke wurden schließlich zwischen 1907 und 1914 durch die Gemeinde abgelöst, 1914 wurde das letzte private Versorgungsunternehmen, die der allgemeine Österreichische Elektrizitätsgesellschaft, kommunalisiert. Damit lag die Stromerzeugung ganz in der Hand der Gemeinde. Vereinheitlicht war das Netz zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht.

Was waren die ersten Einrichtungen, die mit Strom versorgt wurden?

Die Beleuchtung des öffentlichen Raums in Form der Straßenbeleuchtung unterstützte die Ausbreitung der Elektrizität und erhöhte zudem Sicherheit im öffentlichen Raum. 1924 wurde die Straßenbeleuchtung von Gaslaternen auf elektrisch umgestellt. Elektrisches Licht wurde zuerst im Zusammenhang mit Industrieanlagen verwendet, das heißt, zuerst wurde in den Fabriken die Nacht zum Tag gemacht und damit die Zeit zu produzieren verlängert.
Die öffentlichen Gebäude waren die ersten, die elektrifiziert wurden. Zwischen 1880 und 1920 gab es eine erste Phase der städtischen Elektrifizierung, die die öffentlichen Gebäude und Plätze, Fabriken und erste Wohnungen betraf. In den 1920ern und 30ern fand Strom eine weitere Verbreitung in städtischen Haushalten, aber auch vermehrt auf dem Land. Zwischen den 1950ern und 1970ern vollzog sich der entscheidende Schritt für Elektrogeräte vom Luxus- zum Massenkonsumgut – gemeinsam mit dem „Wirtschaftswunder“ und dem hohen Wirtschaftswachstum.

Wie kam Strom in die privaten Haushalte?

Zuerst wurden die öffentlichen Gebäude elektrifiziert. Kohlebogenlampen waren für Privathaushalte zu teuer, erst die Kohlenfadenlampe fand Verbreitung in wohlhabenden Privathaushalten und Hotels. Gaslicht roch, war giftig und explosiv, während elektrischer Strom geruchlos war. Aber erst mit Glühlampen konnte billigeres Gaslicht endgültig verdrängt werden.
In Wohnungen gab es zunächst oft nur eine Lichtquelle, bald wurde der Strom jedoch in alle Zimmer eingeleitet, wodurch sich eine deutliche Arbeitserleichterung und mehr häusliche Bequemlichkeit ergaben. Bügeleisen, Radio, Staubsauger, ab 1930ern E-Herd, Waschmaschinen veränderten den Alltag der Bürger stark.

Wodurch wurde Strom propagiert?

Ab 1922 gab es die Aktion der Gemeinde Wien „In jeden Haushalt Gas und Strom“. Propagiert wurde die Elektrifizierung über Verbilligung von Geräten, über spezifische Haushaltstarife und über die Einführung des billigeren „Nachtstroms“. Doch während sich die elektrische Beleuchtung rasch durchsetzte, verbreiteten sich die elektrischen Haushaltsgeräte nur langsam. 1900 hatten 8,6% der Wiener Wohnungen einen Gasanschluss, aber nur 2,9% einen Stromanschluss. Dies sollte sich aber schon bald ändern. 1913 gab es rund 92.000 Wohnungsanschlüsse, 1918 waren es 158.878, 1928 bereits 565.863.

Wie reagierte die Bevölkerung?

Von großen Teilen der Bevölkerung wurde die Elektrifizierung positiv aufgenommen. Allerdings gab es schon bald Auseinandersetzung zwischen den „Sparern“ und den „Nichtsparern“ – bald gab es kein Fest mehr ohne Festbeleuchtung. Die Festbeleuchtung wurde dann oft zum ersten Anstoß zur Elektrifizierung. Elektrizität als Energieträger und Lebensstoff schlechthin wurde seit dem 18. Jahrhundert euphorisch bewertet, daher hatte es auch einen guten Ruf als saubere und unschädliche Energieform.

Was hat sich durch die Elektrifizierung für die Bewohner geändert?

„Als das Licht kam“ war für viele eine sehr prägende Erinnerung, da die Beleuchtung mit Kienspan, Kerzen, Öl- oder Petroleumlampen, wie sie davon üblich war, recht aufwendig war. Elektrisches Licht ist zudem sicherer. Vor seiner Einführung herrschte stets große Brandgefahr. Dazu kommt noch der Aspekt der Beleuchtung auf Straßen. Mit den ersten Elektrogeräten, wie dem Bügeleisen, wurde vor allem für viele die Arbeitserleichterung spürbar. Die Verwendung von E-Geräten spart Zeit und verhilft zu mehr Freizeit, die Beleuchtung veränderte zudem den Arbeits- und Tagesrhythmus, die Freizeitgewohnheiten, aber auch Organisation und Nutzung des Wohnraums. Die Nacht wird damit zum gleichwertigen Bewegungsraum – in den Studierstuben, den Fabriken, den Theatern, auf den Straßen. Das Licht wurde zum Zeichen der Stadt.

Hat die Elektrifizierung von Wien die soziale Schere weiter geöffnet oder eher geschlossen?

Die Elektrifizierung von Wien öffnete zunächst die soziale Schere. Der 1. Bezirk, die Wiener bürgerlichen Bezirke und die Nobelbezirke waren anfangs weitaus besser versorgt als die ärmeren Bezirke. Natürlich war die Entwicklung auch bei Elektrogeräten ähnlich: Arbeiterhaushalte können sich die meisten Elektrogeräte erst spät leisten.

 

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Quelle: Energieleben Redaktion
Foto: Kraftwerk Simmering: Wien Energie, KK

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